Herr aller Dinge - Eschbach, A: Herr aller Dinge
beobachteten, irgendetwas rühren sollte.
Aber was sollte sich rühren? Erwartete jemand ernsthaft, dass demnächst Aliens aus dem Portal traten? Vielleicht in Begleitung Hiroshis? Feindlich gesinnt, mit ihm als Geisel, oder freundlich, weil anfängliche Missverständnisse ausgeräumt worden waren? Bringt uns zu eurem Präsidenten , würden sie sagen, und schon würde es weitergehen mit neuen Irritationen.
Charlotte strich sich zum hundertsten Male durch die Haare. Sie tat es nur, um überhaupt etwas zu tun, um nicht hier an dem verwaisten Konferenztisch zu versteinern. Sie beobachtete den amerikanischen Admiral mit seiner goldverzierten Schirmmütze und seinem bunt besetzten Uniformrock: Er telefonierte am anderen Ende der Brücke über ein klobiges Mobiltelefon. Die Leute seines Stabes standen um ihn herum und bemühten sich, ihn abzuschirmen; die Russen sollten wohl nicht allzu viel mitkriegen von seinem Gespräch mit dem Präsidenten.
Nein, sagte sich Charlotte, die Aliens waren fort. Abgeflogen. Unterwegs, das Sonnensystem zu verlassen. Wenn überhaupt fremde Lebewesen da gewesen waren. Vielleicht hatten sie von vornherein nur Roboter geschickt, Nanoroboter mit unbekanntem Auftrag. Und so lange Zeit, wie das alles zurücklag, waren sie womöglich in der Zwischenzeit längst ausgestorben.
Hiroshi hatte sich noch zweimal aus dem Inneren der Anlage gemeldet. Er ginge durch endlose Hallen, hatte er berichtet, die aussähen wie riesige Industrieanlagen. Es sei niemand zu sehen, nirgends eine Spur von Leben. Nirgends bewege sich irgendetwas. Alles stehe still. Ob die Fotos gut ankämen, die er aufnehme? Das hatte für Aufregung gesorgt, denn tatsächlich war kein einziges Foto angekommen. Bei Hiroshis Sprechfunkgerät, hatte Charlotte einer der russischen Offiziere erklärt, handle es sich um ein militärisches Spezialmodell: extra sendestark und mit verschlüsselter Übertragung. Und eigentlich sende der eingebaute Fotoapparat jedes Bild auf Knopfdruck und sofort. Doch die letzte Sprechverbindung war extrem schlecht gewesen,voller Aussetzer und Verzerrungen. Und vor allem war sie inzwischen beunruhigend lange her.
Unversehens tauchten die anderen auf. Sie hätten in der Krankenstation die Ungewissheit nicht mehr ausgehalten, erklärte Adrian, und gebettelt, bis man sie auf die Brücke gelassen hatte. Charlotte versuchte ihnen zu erklären, wer Hiroshi war und was er über die Nanoroboter auf der Insel gesagt hatte, aber sie konnte das nicht wirklich gut wiedergeben, und so erntete sie hauptsächlich irritierte Blicke. Ein paar Satzfetzen, die zu ihnen herüberdrangen, ließen Charlotte aufmerken. Zweifel waren dabei, die Oberhand zu gewinnen. Was, wenn sich Hiroshi nicht bald meldete? Was, wenn er nicht mehr zurückkam? Er konnte längst tot sein, spurlos verschwunden, aufgelöst in seine sämtlichen Bestandteile wie die Soldaten des Landungstrupps.
An Leon van Hoorn dachte schon niemand mehr. Von dessen Tod existierte ja auch kein Video. Heutzutage hatte sich etwas, von dem es kein Video gab, nicht wirklich ereignet.
»Äto mnje nje nrawitsa« , knurrte Admiral Uljakow mit zunehmender Häufigkeit. Das gefällt mir nicht . Dabei bedachte er seine Untergebenen mit Blicken, die diese zusammenzucken ließen, als fühlten sie sich schuldig an der Situation.
»… was wir tun«, hörte sie aus der Runde der Amerikaner. »Wie lange wir warten können.«
Es war nicht schwer, ihre Gedanken zu erraten. Selbst ein Zivilist, sagten sie sich, musste sich verdammt noch mal darüber im Klaren sein, dass sie alle hier auf heißen Kohlen saßen. Wenn er aus dem Inneren der Anlage keine Funkverbindung mehr bekam, dann hätte er eben den Weg zurückgehen müssen, den er gekommen war, um Bericht zu erstatten, ein Lebenszeichen von sich zu geben oder ihnen zumindest Bescheid zu geben, wie lange es bis zum nächsten Funkkontakt dauern konnte. Wenn er also einfach schwieg, konnte das nur heißen, dass er entweder gefangen war, tot – oder so strohdumm, dass er das, was ihm widerfahren würde, weil sie gezwungen waren zu handeln, mehr als verdient hatte.
Es wusste bloß niemand, was sie eigentlich tun sollten. Sonst hätten sie wahrscheinlich längst nicht mehr gewartet. Was das anbelangte, waren sie noch nicht weiter als zuvor.
»Admiral!«, sagte plötzlich einer der Beobachter an den Schirmen.
Uljakow schob das Kinn vor. »Reden Sie schon!«
»K-104 meldet, dass sich an den … ähm, Metallfortsätzen auf dem Meeresgrund
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