Herr aller Dinge - Eschbach, A: Herr aller Dinge
anhält und –«
»Es wird nicht beliebig lange anhalten.« Hiroshi stöpselte das Multiband-Funkgerät ab und wickelte die Kabel auf. »Wir dürfen keine Zeit verlieren.«
»Sie haben die Videos gesehen, oder? Was mit den Männern des Landungstrupps passiert ist?«
»Hab ich gesehen.« Hiroshi legte das Funkgerät auf den Laptop. »Ich brauche auch einen warmen Parka oder so etwas.«
Der Konteradmiral schnappte nach Luft. »Einen Parka! Na, Sie haben Nerven.«
Uljakow ließ sich das übersetzen, nickte bärbeißig. »Gut. Minimalbesatzung für den Hubschrauber. Und sie sollen nicht landen, sondern ihn mit der Winde abseilen.«
Man brachte Hiroshi einen dicken Marineparka mit dem Emblem der Nordflotte, dazu passende Hosen und Stiefel und einen Rucksack, in dem er den Laptop und das Funkgerät verstauen konnte. Hiroshi legte alles an, mit steinernem Gesicht. Draußen ließ der Hubschrauber schon seine Rotoren warm laufen. Das Schneegestöber hielt an.
Es war ein eigenartiger Moment. Die Offiziere schienen nicht zu wissen, ob sie Hiroshi bedauern oder anfeuern sollten. Vor allem schien ihnen nicht zu gefallen, dass ein Zivilist so etwas unternahm.
»Good luck« , sagte Whitecomb schließlich mit falschem Lächeln. Jemand schob die Tür auf. Der eiskalte Nordwind fauchte herein.
Hiroshi trat vor Charlotte hin, sein Bündel auf dem Rücken. »Wünsch mir Glück«, bat er.
»Oki otsukete« , sagte sie. Gib auf dich acht.
Ein Schatten schien über sein Gesicht zu huschen. »Ich weiß nicht, was es zum Stillstand gebracht hat«, raunte er auf Japanisch. »Ich war es nicht. Aber sag das um Himmels willen niemandem!«
Damit folgte er dem Matrosen, der ihn zum Hubschrauber geleitete. Die Tür schlug mit dumpfem Knall hinter ihm zu.
8
Der Hubschrauber kämpfte sich durch das Schneetreiben, doch Hiroshi hatte nur Augen für die Insel.
Er konnte es immer noch nicht fassen, dass er das, wovon er seit Jahren träumte – sein Leben lang im Grunde –, direkt vor sich sah, und dazu an einem derart unwahrscheinlichen Ort! Die anderen mochten hier Stahl sehen, gepanzerte Wände, eine kolossale Festung in der Einsamkeit des nördlichen Polarmeers – er hingegen sah die Nanitenkomplexe dahinter, Trilliarden von Trilliarden von ihnen, so viele, dass die Sprache kaum noch handhabbare Zahlwörter dafür kannte, und doch alle in Strukturen eingebunden, alle organisiert, alle beherrschbar. Er sah unendlich miniaturisierte Ausgaben seiner kleinen, aufs Simpelste reduzierten Roboter von Paliuk, sah die Gebilde, die bislang nur die Bildschirme seiner Computer bevölkert hatten, vor sich … Anders war es auch nicht möglich: Man sah Naniten vor dem inneren Auge oder gar nicht. Naniten waren so klein, dass ein Mensch sie nicht ohne die Zuhilfenahme anderer technischer Geräte sehen konnte. Sie würden immer Gebilde auf Bildschirmen bleiben. Aber sie waren da! Sie existierten! Es hatte nichts zu bedeuten, dass man sie nicht sah. Bakterien und Viren sah man mit bloßem Auge auch nicht, und auch sie existierten. Nur dass sie um ein Vielfaches größer waren als Naniten.
Und nun, da unten auf dem Meer, immer näher kommend, immer größer werdend, die Manifestation der Macht von Nanorobotern: Indem sie einander bauten, einander aus Atomen zusammensetzten, die sie in ihrer Umgebung fanden, waren sie in der Lage, ihre Zahl ins Beliebige, quasi ins Unendliche zu vervielfältigen. Und indem sie bei alldem strikt organisiert blieben, in Reih und Glied marschierten, Hand in Hand arbeiteten,einem klaren Plan, einem gigantischen Programm folgten, waren sie imstande, Gebilde beliebigen Ausmaßes zu errichten: von winzigsten Strukturen wie sie selbst bis hin zu kolossalen Gebilden wie dieser Insel. Dreißig Quadratkilometer Fels, die nun von schimmerndem Stahl bedeckt waren! Dabei war das noch gar nichts. Für Naniten gab es keine Grenzen. Sie konnten einen ganzen Planeten umbauen, wenn das Programm es vorsah, und es gab fast nichts, was man dagegen tun konnte.
Nanoroboter taten nichts anderes, als Atome direkt anzuordnen, doch das genügte, um Wunderdinge zu vollbringen. Im Grunde ließ sich die gesamte Technikgeschichte auf diesen einen Aspekt reduzieren: Wie gut es gelang, Atome anzuordnen. Zuallererst hatte man Faustkeile hergestellt, indem man Stein gegen Stein schlug, bis Splitter davon absprangen, Splitter, die aus derart vielen Atomen bestanden, dass die Urmenschen nicht ansatzweise Zahlworte dafür besessen hätten. Dann hatte man
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