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Herr aller Dinge - Eschbach, A: Herr aller Dinge

Herr aller Dinge - Eschbach, A: Herr aller Dinge

Titel: Herr aller Dinge - Eschbach, A: Herr aller Dinge Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Eschbach
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ja, was gemeint war. Er musste sich der Winde anvertrauen, die ihn hinabbringen würde.
    Ein letzter prüfender Griff, ob alles richtig saß, der Rucksack mit dem Computer so über der Schlaufe saß, dass nichts beschädigt wurde, ein letztes Nicken, dann musste er den Schritt ins Bodenlose tun.
    Tobende Luft riss an ihm, sobald er die ersten Meter zurückgelegt hatte. Schneidende Kälte vertrieb jedes Gefühl, einen Traum zu träumen. Dies war kein Traum. Er hing unter einem dröhnenden Hubschrauber, an einem vibrierenden Stahlseil,das so schnell abgespult wurde, wie es nur ging, und er würde gleich der einsamste Mensch auf Erden sein. Niemand würde kommen, um ihn zu retten, falls ihm etwas zustieß. Vor seinem inneren Auge liefen noch einmal die Videobilder ab, die ihm die Agenten in Kalifornien gezeigt hatten. Darunter waren Aufnahmen von Menschen gewesen, die vor Schmerzen geschrien hatten, während sie auf genau dem Boden dort unten einen kaum vorstellbaren Tod gestorben waren: Sie waren regelrecht zerflossen , weil Billionen von Naniten ihre Körperzellen in Kohlenstoffatome, Wasserstoffatome, Sauerstoffatome zerlegt, die Kalziumatome ihrer Knochen einzeln abtransportiert hatten, um sie anderswo in nanotechnische Funktionsteile einzubauen …
    Hiroshi blickte hinab. Der Boden kam immer näher. Er sah aus wie makelloser, frisch geputzter Stahl.
    Seine Füße setzten auf. Nichts geschah. Er sah genauer hin und entdeckte hier und da Schneeflocken, die unberührt auf dem stählernen Boden lagen, nicht einmal schmolzen. Er begann wieder zu atmen.
    Rasch legte er den Rucksack ab, schlüpfte aus der Trageschlaufe, winkte nach oben. Das Seil mit der leeren Schlaufe daran schnurrte in die Höhe, und noch ehe es ganz oben war, drehte der Hubschrauber ab und fauchte davon.
    Da stand er nun. Und jetzt? Hiroshi hob den Rucksack wieder auf die Schultern, blickte zu dem gigantischen Portal empor. Es stand offen, sah aus wie eine Einladung. Nun, auf jeden Fall würde er nicht hier draußen bleiben. Da er nun schon einmal da war, wollte er auch so tief wie nur möglich in das Herz der Maschine eindringen.
    Und sei es, weil es da drinnen nur wärmer sein konnte als im Freien.
    Er marschierte los, stapfte den flachen Hang hinauf, auf den schmalen, dunklen Spalt zu, der vielleicht fünfzig Meter hoch und fünf Meter breit sein mochte. Je näher er dem Portal kam, desto stärker fühlte er sich an die Legenden um die Bondori erinnert:Der Zugang zur Unterwelt konnte eigentlich nur aussehen wie dieses gewaltige Tor.
    Ihm war feierlich zumute. Obwohl er nicht wusste, was er da drinnen tun oder was er erreichen würde.
    Nichts, aller Wahrscheinlichkeit nach.
    Hiroshi wandte sich noch einmal um, blickte zu den grauen Schiffen zurück, die in einer Entfernung, die die Militärs für sicher hielten – eine völlig irrige Einschätzung natürlich –, optisch nahezu mit dem Himmel und dem Meer verschmolzen. Das Sprechfunkgerät fiel ihm ein, das sie ihm mitgegeben hatten. Er holte es aus der Tasche. Es war ein klobiges Ding, das aussah wie eines der ersten Mobiltelefone, und er musste die Handschuhe ausziehen, um es einschalten zu können.
    »Kato hier«, sagte er. »Ich geh jetzt rein.«
    Er wartete keine Antwort ab. Er steckte das Gerät wieder ein, zog die Handschuhe über, holte noch einmal tief Luft und trat über die Schwelle.
    Mit der Zeit wurde Charlotte kalt. Die Brücke war gut geheizt: trotzdem. Wenn man nur dasaß und durch die Fenster hinausstarrte in das graue sturmdurchtoste Einerlei des nicht endenden Polartages, fröstelte man irgendwann. Es hatte zu schneien aufgehört, aber der Wind nahm zu, peitschte die eisigen Wellen.
    Doch es gab nun mal nichts zu tun. Die Zeit verging, und das Warten zerrte an den Nerven. Die Schiffe kreuzten vor der Insel, die Kameras mit ihren starken Teleobjektiven behielten alles, was darauf geschah – nämlich nichts, seit Hiroshi durch das Portal gegangen war –, unbeirrbar im Blick. Alles wurde aufgezeichnet: Aufzeichnungen, die später jeden, der sie sichtete, unsäglich langweilen würden.
    Es war ein Warten unter spürbarer Anspannung. Die Offiziere auf der Brücke unterhielten sich in gedämpftem Tonfall. Sie nippten an Kaffeetassen, drehten an Schaltern, tippten auf Tastaturen, beugten sich über Karten – aber eigentlich warteten sie alle darauf, dass etwas geschah. Sie waren wie wachsam da sitzendeKatzen, bereit, aufzuspringen und zuzuschlagen, wenn sich in dem Loch, das sie

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