Herr aller Dinge - Eschbach, A: Herr aller Dinge
aus Familien, die aus Mexiko eingewandert waren und Englisch nur rudimentär beherrschten.
Das Niveau des Unterrichts war, vorsichtig ausgedrückt, nicht übermäßig anspruchsvoll. Tatsächlich hätte sich Hiroshi anstrengen müssen, eine schlechte Note zu schreiben, und so rangierte er von Anfang an unter den besten Schülern der Schule. Das einzige Fach, in dem er unterdurchschnittliche Leistungen erbrachte, war Sport. Erstens, weil ihm Sport schon immer zuwider gewesen war, und zweitens, weil er nach wie vor kleiner und schmächtiger war als der Durchschnitt, zwar mit Zähigkeit, nicht aber mit Körperkraft gesegnet. Er rannte langsamer als die anderen, war beim Hochsprung der Erste, der die Latte riss, und über einen Platz in einer Football-Mannschaft brauchte er nicht einmal nachzudenken.
Das machte aber alles nichts, denn dafür war Hiroshi Kato, wie sich herausstellte, beim Baseball der beste Catcher, den die Alexandria High School je gehabt hatte. Er fing schlicht und ergreifend jeden Ball, den der Pitcher warf, ohne einen einzigen Fehlgriff in den ganzen vier Jahren.
Hiroshi hatte schon immer gute Reflexe gehabt, und natürlich hatte sein Vater ihm den Sommer über stundenlang Bälle zugeworfen, so, wie amerikanische Väter das mit ihren Söhnen nun einmal taten. Aber die Bälle, die Vater warf, waren beileibe keine Herausforderung, und Training waren sie erst recht nicht. Nein, was niemand an der Schule mitbekam, war, dass Hiroshi sich kurzerhand eine Baseball-Wurfmaschine konstruierte, die ihm über computergesteuerte Motoren aus einem Reservoir zweihundert Bälle zuwerfen konnte, auf allen technisch möglichen Bahnen. Mit dieser Maschine übte er, bis er jedem Ball sofort ansah, welchen Weg er nehmen würde. Zum Schluss konnte er das Reservoir an einem Abend fünfmal durchlaufenlassen, ohne dass ein einziger Ball in dem Netz hinter ihm landete.
Worin er allerdings niemals wirklich gut wurde, waren direkte körperliche Auseinandersetzungen, etwa, wenn es darum ging, die Home Plate zu blockieren. Er schaltete auch nie schnell genug, um in einen Rundown einzugreifen oder auch mal zur First Base zu rennen. Lobende Worte des Coachs kamen deswegen immer in Kombination mit dem warnenden Hinweis, trotz allem nicht von einer professionellen Karriere zu träumen.
Hiroshi konnte ihm glaubhaft versichern, nichts läge ihm ferner.
Alles in allem war Hiroshi trotz seiner herausragenden Noten nicht unbeliebt an der Schule, wenn er auch keine wirklich engen Freundschaften schloss und selten an den Wochenendvergnügen der anderen teilnahm. Was die Mädchen anbelangte, war Hiroshi vermutlich der einzige Junge an der Schule, für den die Mädchen sich mehr interessierten als er sich für sie: Er beachtete sie praktisch überhaupt nicht.
Noch ehe die Highschool begonnen hatte, hatte Hiroshi sich zunehmend unwohl in seinem Zimmer gefühlt. Schließlich bat er seinen Vater um Erlaubnis, ein paar Dinge daraus entfernen zu dürfen.
»Was immer du willst«, sagte der sofort. »Es ist dein Zimmer.«
So nahm Hiroshi die ganzen Fotos ab, schaffte das Regal mit den Sportsachen in den Keller und machte sich daran, die geblümte Tapete von den Wänden zu kratzen. Sein Vater half ihm dabei, und gemeinsam tapezierten sie das Zimmer neu, mit einer einfachen Tapete, die sie anschließend weiß strichen.
Warum ihm das so besser gefalle, wollte Vater wissen.
»Ich weiß nicht«, bekannte Hiroshi und überlegte. »Ich glaube, weil ich einfach nicht so amerikanisch bin, wie das Zimmer es war.«
Das nahm sein Vater zum Anlass, ihm alles über japanische Kultur beizubringen, was er wusste. Und zu Hiroshis Erstaunenlernte er von seinem amerikanischen Vater mehr über seine japanischen Wurzeln als in all den Jahren an seiner Tokioter Schule.
Als einer seiner Mitschüler einmal im Spaß sagte, er werde Harakiri begehen, wenn er durch eine anstehende Prüfung rassle, und Hiroshi das seinem Vater gegenüber erwähnte, erklärte ihm dieser, dass der Begriff Harakiri, anders als man gemeinhin glaubte, nicht der japanischen Tradition entstammte, sondern dass es sich dabei um ein von den Briten erfundenes, abschätziges Wort handle, das übersetzt einfach »Bauch aufschlitzen« hieß und die rituelle Selbsttötung der Samurai verächtlich machen sollte.
»Der korrekte Begriff lautet Seppuku«, erklärte er ihm. »Ein Samurai, der seine Pflichten verletzt und dadurch sein Gesicht verloren hatte, konnte durch ein korrektes Seppuku die Ehre
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