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Herr aller Dinge - Eschbach, A: Herr aller Dinge

Herr aller Dinge - Eschbach, A: Herr aller Dinge

Titel: Herr aller Dinge - Eschbach, A: Herr aller Dinge Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Eschbach
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hielt inne. Zum ersten Mal kam ihm zu Bewusstsein, dass das ja sein anderer Großvater gewesen war!
    Er hatte wirklich kein Glück mit Großeltern.
    »Es ist immer noch schrecklich dort«, meinte Vater. »Ich geh so selten wie möglich hin. Für die bin ich der Idiot, aber ich sag dir eins: Die sind die Idioten. Meine Brüder und meine Schwester haben mehr Geld, als sie im Leben je ausgeben könnten, aber wenn du dort bist, jammern sie in einem fort. Dauerndtut ihnen irgendeine Firma irgendwas Böses an, nimmt ihnen Marktanteile weg, versaut den Börsenkurs oder was weiß ich. Sie heulen und regen sich auf und schreien herum, dass du denkst, sie führen einen verdammten Krieg. Aber Milliardäre sind sie. Wenn sie schon keinen Tag ihres Lebens froh werden.«
    Das war der Moment, in dem Hiroshi seine große Idee wieder einfiel. Was ihm Vater über seine Onkel und seine Tante (es kam ihm seltsam vor, diese Bezeichnungen auf Leute anzuwenden, die er noch nie getroffen hatte) erzählt hatte, ließ darauf schließen, dass sie schreckliche Angst hatten, ihren Reichtum wieder zu verlieren.
    Darüber dachte Hiroshi lange nach. Er kam schließlich zu dem Schluss, dass eine derartige Angst einfach daher kam, dass es viele arme Menschen gab. Wären alle Menschen reich und wäre Reichtum der ganz normale Zustand, hätte niemand Grund gehabt, seinen Verlust zu fürchten, ja, man würde sich einen solchen Verlust nicht einmal vorstellen können. Das war wie mit der Atemluft: Es gab so viel davon, dass jeder Mensch genug zu atmen hatte, und zwar sein Leben lang. Deswegen machte sich normalerweise niemand Sorgen, es könne eines Tages nicht mehr genug Luft für ihn geben.
    Wenn es ihm gelang, alle Menschen reich zu machen, dann würde die bisher mit dem Reichtum verbundene Angst verschwinden und damit auch alle unangenehmen Dinge, die mit dieser Angst verknüpft waren oder von ihr ausgelöst wurden.
    Hiroshi verstand Englisch ziemlich gut, was er nicht zuletzt den Besuchen im englischen Kino und vielen DVDs mit amerikanischen Filmen verdankte. Doch mit seiner Aussprache haperte es noch gewaltig. Als Vater einen Monat nach Hiroshis Ankunft keine diesbezügliche Besserung feststellte, erklärte er: »Da müssen wir was unternehmen.«
    »Ich werd es schon noch lernen«, wandte Hiroshi ein. »Mit der Zeit.«
    »Mit der Zeit«, erwiderte sein Vater, »verfestigt sich eine falscheAussprache nur. Ich werde nicht zulassen, dass du dich durchmogelst.«
    So kam es, dass Hiroshi zu eben jener Therapeutin geschleppt wurde, die seinen Vater wieder ins Leben zurückgeführt hatte.
    Sie hieß Sylvie und sah nicht halb so wundertätig aus, wie Vater sie geschildert hatte. Tatsächlich war sie klein und dick, hatte blassbraunes Haar und einen mächtigen Zinken von Nase, und sie wehrte Vaters Ansinnen erst genauso ab wie Hiroshi selbst: Das sei nicht ihr Fachgebiet.
    »Gönn dir doch mal ein bisschen Abwechslung, Sylvie«, meinte Vater mit einem ganz ungewohnten Anflug von so etwas wie Charme.
    Es lief darauf hinaus, dass Hiroshi viermal die Woche zu ihr in die Praxis kam, um jeweils eine sich unglaublich hinziehende Dreiviertelstunde lang sinnlose Silben zu wiederholen, sich auch winzigste Aussprachefehler korrigieren zu lassen, englische Sätze zu singen, zu husten, zu gurgeln oder zu schreien. Es war sagenhaft anstrengend, aber nach einer Weile machte er auch sagenhafte Fortschritte. Bis eines Tages im Sommer eine Aushilfsbibliothekarin in der Stadtbücherei zu ihm sagte, sie wette, er stamme aus Seattle oder Umgebung, sie habe ein Ohr für so etwas.
    » Ich stamme aus Seattle«, erklärte Sylvie schmunzelnd, als er ihr davon erzählte. »Ich glaube, das heißt, wir können jetzt aufhören.«
    Vater wollte wissen, was Hiroshi der Bibliothekarin geantwortet habe.
    »Im ersten Moment hätte ich beinahe Ja gesagt«, gab er zu. »Aber irgendwie habe ich es nicht fertiggebracht.«
    »Gut«, sagte Vater. »Du brauchst deine Wurzeln nicht zu verleugnen.«
    Als Hiroshi schließlich auf die Highschool kam, sah er, dass sein Vater völlig recht damit gehabt hatte, Wert auf eine ordentliche Aussprache zu legen. Die Bevölkerung Amerikas war ein buntes Gemisch aus aller Welt – die Hälfte seiner Mitschülerwar weiß, die andere Hälfte schwarz, und es gab genügend Schüler asiatischer Abstammung, dass Hiroshi nicht weiter auffiel. Diese optische Vielfalt führte dazu, dass man Vorbehalte an der Sprache festmachte. In diesem Fall traf das vor allem Kinder

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