Herr der Daemmerung
Kopf und stöhnte. Jez gab ihm Halt.
»Mir geht es gut«, erklärte er. »Sag bloß dem Raum, dass er endlich stillstehen soll.« Er sah sich in Jez’ Zimmer um, blinzelte erneut und schien sich plötzlich an etwas zu erinnern. Mit großen Augen packte er sie am Arm. »Irgendetwas ist mir gefolgt ...«
»Ein Ghoul. Er ist tot.«
Er stieß den Atem aus. Dann lächelte er schief. »Du hast mir das Leben gerettet.«
»Und ich berechne nicht mal was dafür«, sagte Jez verlegen.
»Nein, ich meine es ernst.« Sein Lächeln verblasste, und er sah sie direkt an. »Danke.«
Jez konnte spüren, wie ihr die Wärme ins Gesicht schießen wollte, und es fiel ihr schwer, seinem Blick standzuhalten. Seine Augen waren grau und so intensiv - unergründlich. Ihre Haut kribbelte.
Sie wandte den Blick ab und sagte gelassen: »Wir sollten dich in ein Krankenhaus schaffen. Du könntest eine Gehirnerschütterung haben.«
»Nein. Mir geht es gut. Lass mich nur eben sehen, ob ich aufstehen kann.« Als sie den Mund öffnete, um zu protestieren, fügte er hinzu: »Jez, du weißt nicht, warum ich hier bin. Es kann nicht warten.«
Er hatte recht; Jez war so darauf konzentriert gewesen, ihn aus seiner Bewusstlosigkeit zu wecken, dass sie sich nicht einmal gefragt hatte, was er hier tat. Sie sah ihn für einen Moment an, dann nickte sie. Sie half ihm auf die Füße und ließ seinen Arm los, als sie sah, dass er allein stehen konnte.
»Siehst du, es geht mir gut.« Er machte einige Schritte, dann drehte er eine Runde durch den Raum und lockerte seine Muskeln. Jez beobachtete ihn aufmerksam, bereit, ihn aufzufangen, sollte er hinfallen. Aber er bewegte sich sicher, bis auf ein schwaches Humpeln.
Und das, so wusste Jez, kam nicht von seiner Begegnung mit dem Ghoul heute Abend. Er humpelte schon seit seiner Kindheit, seit die Werwölfe sich seine Familie geholt hatten.
Wie er das hatte überwinden und sich dem Zirkel der Morgendämmerung hatte anschließen können, würde Jez wohl nie erfahren.
Er hatte seine Eltern fast genauso jung verloren wie sie. Außerdem noch seine beiden Schwestern und seinen Bruder. Seine ganze Familie hatte einen Campingausflug an den Lake Tahoe gemacht, als sie mitten in der Nacht von einem Rudel Werwölfe angegriffen worden waren. Von abtrünnigen Wölfen, die illegal gejagt hatten. Denn das Gesetz der Nachtwelt erlaubte es ihnen nicht, zu töten so oft es ihnen gefiel.
Genau wie der alten Gang von Jez.
Die Werwölfe hatten in den Zelten der Familie Davis gewütet und die Menschen getötet, einen, zwei, drei. Einfach so. Der einzige, den sie am Leben gelassen hatten, war der siebenjährige Hugh gewesen; er hatte zu wenig Fleisch an seinem kleinen Körper gehabt. Sie hatten sich einfach niedergelassen, um die Herzen und Lebern ihrer Opfer zu essen, als plötzlich der Junge, der zu klein war, um eine lohnende Mahlzeit abzugeben, mit einer selbstgemachten Fackel auf sie losgegangen war - mit einem in Benzin getauchten, um einen Stock gewickelten Unterhemd. Dazu hatte er ein silbernes Kreuz an einer Kette geschwungen, die die Werwölfe seiner Schwester vom Hals gerissen hatten.
Zwei Dinge, die Werwölfe hassten: Silber und Feuer. Und der kleine Junge griff mit beidem an. Die Wölfe beschlossen, ihn zu töten.
Langsam.
Beinahe hätten sie es geschafft. Es war ihnen gelungen, eins seiner Beine anzunagen, bevor ein Parkranger auftauchte. Er war von dem sich ausbreitenden Feuer angelockt worden, das ausgebrochen war, nachdem Hugh seine Fackel fallengelassen hatte.
Der Ranger hatte ein Gewehr, und das Feuer geriet außer Kontrolle. Die Wölfe machten sich davon.
Hugh wäre auf dem Weg ins Krankenhaus beinahe verblutet.
Aber er war ein harter Bursche. Und ein sehr kluger. Er versuchte nicht einmal, irgendjemandem zu erklären, was er mit der silbernen Kette gemacht hatte. Er wusste, dass ihm niemand glauben würde, wenn er behauptete, er habe sich plötzlich an etliche frühere Leben erinnert - und daran, dass er in einem davon beobachtet hatte, wie ein Werwolf getötet worden war.
Hugh Davis war eine Alte Seele.
Eine erweckte Alte Seele, was noch seltener war. Es machte Jez ein wenig Angst. Er war menschlich, und sie stammte aus der Nachtwelt, aber sie tat erst gar nicht so, als würde sie die Magie verstehen, die einige Menschen immer wieder zurückholte und sie in neuen Körpern reinkarnierte. Die es ihnen erlaubte, sich an all ihre früheren Leben zu erinnern, und die sie mit jeder neuen Geburt klüger
Weitere Kostenlose Bücher