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Herr der Finsternis

Herr der Finsternis

Titel: Herr der Finsternis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Silverberg
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Piraterie brodelte schon in meinen Adern. Ich umarmte meinen Vater und meine Brüder, und dann schoben sie mich zu einem robusten Mann mit einem mächtigen Bart und eleganter Garderobe, den ich für irgendeinen Lord oder Edelmann hielt, und ein Edelmann war er fürwahr. »Ihr seht, Francis«, sagte mein Vater, »ich habe einen Sohn in Reserve behalten.«
    Drake knuffte mich leicht gegen den Arm, fuhr mir gegen den Strich über meinen seit neuestem sprießenden weichen Bart und sagte: »Bei Gottes Blut, Junge, du hast den Glanz in den Augen! Ich kenne ihn gut. Ich sage dir, du wirst weiter reisen als all deine Brüder«, und das bin ich auch, in ein Reich der Finsternis, das so schrecklich und so fremd ist, wie es sich kein Mann aus Essex hat vorstellen können.
    In den nächsten Jahren gab es nur wenig Kaperfahrten. Ihre Majestät war nicht geneigt, einen Krieg mit Spanien zu beginnen, und handelte mit König Philip einen Frieden aus, den nicht einmal Drake zu brechen wagte. Mein Vater kehrte zu seinen Lotsenpflichten zurück, mein Bruder Henry fuhr mit Frobisher davon, die Nordwest-Passage zu suchen, und was aus meinem Bruder John wurde, weiß ich nicht, obgleich ich glaube, daß er womöglich nach Irland gegangen ist, wo er zehn Jahre später bei einer wilden Fehde starb.
    Und ich? Ich machte erste Bekanntschaft mit dem Wasser. Mit sechzehn heuerte ich auf der George Cross an, einem Handelsschiff von vierhundert Tonnen, das Fässer mit Rotwein aus Bordeaux transportierte. Es war ein langsamer und schwerfälliger alter Kahn, ein Dreimaster, mit Lateinsegeln am Vor- und Hauptmast vollgetakelt, der nicht viel mit einer Piratenbrigantine oder einer Forschungskaravelle gemein hatte: ein plumpes, schweres Ding. Doch wenn man zum ersten Mal auf See ist, kommt einem jedes Schiff wie ein Wunder vor, besonders, wenn das Land außer Sicht ist und schwere Wellen gegen den Rumpf spülen. Da ich wußte, daß mein Vater von meiner Geburt an ein sicheres Leben an Land für mich vorgesehen hatte, empfand ich etwas Furcht, als ich zu ihm ging, um ihn um die Erlaubnis zum Anheuern zu bitten. Er sah mich lange an und sagte: »Henry hat dir den Teufel eingegeben, was? Oder war es Drake?«
    »Sir?«
    »Als wir bei Plymouth an Land gingen und sahen, wie du gewachsen bist, sagte Henry zu mir, Master Andrew ist jetzt zu kräftig für das Leben einer Landratte. Und dann Drake, als er deine Reise prophezeite – er hat deine Seele angehetzt, nicht wahr?«
    »Aye, Vater. So war es.«
    »Sag mir, daß die See dich ruft. Sag mir, daß du dich dieser Anziehungskraft nicht widersetzen kannst.«
    Ich trat unbehaglich von einem Bein aufs andere, da ich nicht wußte, ob ich verspottet wurde. Dieser mein Vater war mir in jenen Jahren zum Fremden geworden.
    »Es ist nicht ganz so«, sagte ich.
    »Aber?«
    »Aber ich würde gern gehen.«
    »Dann gehe«, sagte er freundlich. »Du wirst im Kanal nicht in Gefahr sein, und du kannst ein wenig lernen. Was meinst du, wirst du Decks schrubben?«
    »Ich werde etwas lernen, Vater. Ich werde Warenlisten kontrollieren und Seefrachtbriefe erstellen.«
    Er schüttelte den Kopf. »Mir wäre es lieber, wenn du Decks schrubben würdest, und auch, wenn ich selbst dir etwas beibringen könnte. Es war ein Fehler. Du warst für die See bestimmt, Junge. Doch es wird kein Schaden sein, den Körper eines Seemannes und den Verstand eines Kanzlisten zu haben. Auf jeden Fall ist das besser als anders herum.«
    Und mit diesem barschen Segen ließ er mich anheuern.
    Ich schaue über vierzig Jahre hinweg auf diesen Jungen zurück und gestehe, daß mir gefällt, was ich sehe. Grün, ja, und töricht und dumm, doch warum nicht, in diesem Alter? Still und eifrig und bereit, Mühsal auf sich zu nehmen, so gering mir diese Mühsal jetzt auch erscheinen mag. Ich hatte Starrsinn und Hingabe und war willens zu arbeiten, und ich besaß etwas Intelligenz, und ich war standhaft. Von meinem Vater hatte ich auch etwas geerbt; die Klugheit zu wissen, wann es an der Zeit ist, den Kurs zu ändern.
    Elf Monate lang diente ich auf der George Cross. Von dem, was ich zu Hause gehört und auf den Docks der Themsemündung gesehen hatte, besaß ich einige Seemannserfahrung; das heißt, ich wußte, daß ich nicht gegen den Wind pissen durfte und welche Seite Steuerbord und welche Backbord war und was das Achterdeck und was das Vordeck war, wenn auch nicht viel mehr. Ich hatte nur wenig Hoffnung, viel zu lernen, wenn ich zwischen Dover und Calais

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