Herr der Krähen
Gefängnis verfrachtet? Natürlich nicht. Ich beauftragte sogar Big Ben Mambo, ihr eine Anstellung im Informationsministerium zu geben, und heute bin ich außerordentlich glücklich, verkünden zu können, dass ich Dr. Yunice Immaculate Mgenzi zur ersten Stellvertreterin meines Botschafters in Washington berufen habe. Die erste Frau in der Geschichte Aburĩrias, die einen solchen Posten innehat.“
Dr. Mgenzi quittierte den donnernden Applaus der Menge mit einer Verbeugung und winkte, bevor sie sich wieder setzte.
„Und nun“, fuhr der Herrscher fort, nachdem der Applaus verklungen war, „möchte ich über einen weiteren Revoluzzer reden, der früher Gift und Galle über Imperialismus, Kapitalismus, Kolonialismus, Neokolonialismus und all das ausspuckte. Er nannte sich Dr. Luminous Karamu-Mbu-ya-Ituĩka. Versteht ihr, er nutzte seinen leuchtenden Stift, die Revolution herbeizukritzeln. Ein Agitator. Ein Anhänger Moskaus. Ausgebildet am Ostdeutschen Institut für marxistisch-revolutionären Journalismus. Es gab sogar eine Zeit, in der ihn einige unserer Nachbarn, die trunken waren von der Torheit eines Afrikanischen Sozialismus, anheuerten, radikale Artikel zu schreiben, die zum Klassenkampf in Afrika aufriefen. Sobald aber klar war, dass es mit dem Kommunismus den Bach runterging, war auch er so klug zu bereuen und beeilte sich, das Wort ‚Revolution‘ aus seinem Namen zu entfernen. Was habe ich gemacht? Habe ich ihn ins Gefängnis gesteckt? Nein. Ich habe ihm vergeben. Und er hat sich mit seiner Arbeit meiner Vergebung als vollauf würdig erwiesen. Im Untergrundblatt Eternal Patriot, das er herausgab, hat er mich immer als den Schöpfer einer Nation von Schafen verunglimpft. Jetzt hilft er mir im Daily Parrot dabei, mit seinen literarischen Hieben die Schafe zu hüten.“
Um das Land vor arglistigen Gerüchteköchen zu schützen, vor sogenannten Historikern und Romanschreibern, und um ihren Lügen und Verdrehungen zu begegnen, ernannte ihn der Herrscher zu seinem offiziellen Biographen, und wie ein jeder wisse, sei seine Lebensgeschichte in Wahrheit die Geschichte dieses Landes und die einzig wahre zudem. „Mein ergebener und vertrauenswürdiger Geschichtsschreiber“, tönte der Herrscher. „Ich möchte, dass du dich erhebst, damit sie dich sehen und kennenlernen können.“
Der Biograph folgte der Anweisung, und erst in diesem Moment wurde allen klar, dass der Mann mit dem ledergebundenen Notizbuch und dem Stift vom Umfang eines Wasserschlauchs der offizielle Biograph des Herrschers war. „Meine geliebten Kinder“, rief der Herrscher jetzt und wandte sich wieder an die Menschenmenge, „ich möchte sagen, dass ihr alle gesegnet sein sollt für dieses Superwundergeschenk.“ Was es ihm so wertvoll mache, sei nicht zuletzt die Tatsache, dass es ihn vollkommen überrascht habe. Selbst in seinen kühnsten Träumen hätte er nicht gedacht, dass Aburĩria seine Dankbarkeit zeigen würde, indem es etwas versuche, das noch nie jemand in der Geschichte getan habe. Er persönlich habe nie einen Lohn erwartet, denn das, was er getan habe, sei ihm Lohn genug gewesen, und aus väterlicher Liebe heraus werde er das auch weiterhin so halten. Er hielt inne, denn auf einmal gab es mitten in der Menge einen Schrei, der einem das Blut gerinnen ließ. „Eine Schlange! Eine Schlange!“ Andere nahmen den Warnruf auf und es entstand ein höllischer Lärm. Die Menschen schrien und stoben in alle Richtungen auseinander. Alle wollten der Schlange entgehen, die kaum einer gesehen hatte. Es genügte, dass andere sie gesehen hatten; und in dem Geschrei ging es jetzt nicht mehr um eine, sondern gleich um mehrere Schlangen. Die Minister konnten nicht glauben, was sich da abspielte. Keiner wollte der Erste sein, der Furcht zeigte. Verstohlen blickten sie sich an und warteten darauf, dass einer den ersten Schritt machte.
Ein Teil der Menge begann, sich zur Bühne vorzuschieben. Immer noch schrien sie: „Schlangen! Schlangen!“ Auch einige Polizisten und Soldaten waren drauf und dran zu fliehen, doch als sie die Garde des Herrschers zu den Waffen greifen sahen, um in die Menge zu feuern, hielten sie stand. Und das Chaos nahm seinen ungehinderten Lauf.
Um die Situation zu beruhigen, feuerte der Polizeichef in die Luft. Das aber machte alles nur noch schlimmer. Der Tumult verwandelte sich in Panik. Die Menschen machten sich in alle Richtungen davon. Wenige Minuten später waren nur noch der Herrscher und sein Gefolge aus
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