Herr der Krähen
Feinden das Fell über die Ohren zu ziehen.
6
In seinem Verhalten lag nichts Widersprüchliches. Sikiokuu sah die irrtümliche Verhaftung vielmehr als Situation, aus der er seinen Vorteil schlagen konnte. Wenn Vinjinia in irgendeiner Weise mit den Frauen der Bewegung in Verbindung stand, dann würde auch Tajirika mit hineingezogen werden, und dieser wiederum würde Machokali in Verdacht bringen. Wenn sich aber herausstellen sollte, dass Vinjinia unschuldig war, konnte Sikiokuu die Schuld auf Kaniũrũ und die Spezialeinheit abwälzen, weil sie der Spur der Frau zum Büro ihres Arbeitgebers gefolgt waren. Tajirika, Machokalis Freund, müsste dann immer noch erklären, wie er eine Rebellin anstellen konnte. Doch an irgendwelche unvorhersehbaren Schwierigkeiten mochte er momentan überhaupt nicht denken. Er würde sich damit befassen, wenn es so weit war – jetzt wollte er einfach nur den Triumph dieses Augenblicks und der Verhaftung von Tajirikas Frau Vinjinia auskosten.
7
Tajirika verbrachte den ganzen Tag mit anderen Mitgliedern des Marching-to-Heaven-Baukomitees in der Klausur eines Hotelzimmers und überlegte, wie man das Image des Staates wieder aufbessern könnte. Welche Schritte konnten sie sofort unternehmen, um die Schmach wiedergutzumachen, die diese weiblichen Renegaten über die Nation gebracht hatten? Sie überboten sich gegenseitig darin, die Frauen herabzuwürdigen. Frauen waren schon immer der Stachel im Fleische der Menschheit; was kaum überraschte, wie die meisten Männer schlussfolgerten, schließlich stammten sie von Eva ab. Ein Mitglied des Komitees tat so, als wollte er widersprechen. Mit wissendem Lächeln und einem boshaften Glanz in den Augen fragte er: „Wer versteckt die verschlagene Schlange zwischen ihren Beinen?“ Alle lachten, und mit dieser ausgelassenen Anmerkung beendeten sie die Beratungen.
Auf der Fahrt zu seinem Haus in Golden Heights steckte Tajirikas Kopf voller Gedanken über den Verrat von Frauen im Lauf der Geschichte, und als er bemerkte, dass seine Frau noch nicht zu Hause war, begann er, sich ehrlich zu wundern: Ist Vinjinia auch eine dieser Frauen der Reichen und Mächtigen geworden, die im Namen der Befreiung der Frau vor jedem Kerl die Beine breit machen?
Als Vinjinia um Mitternacht immer noch nicht aufgetaucht war, wandelten sich Tajirikas Wut und Eifersucht in Sorge und Unruhe. Hatte sie einen Unfall? Wurde sie verletzt? War sie im Krankenhaus?
Er schlief kaum und machte sich am nächsten Morgen zeitig auf den Weg ins Büro. Er war überzeugt, dass Nyawĩra wusste, was seiner Frau zugestoßen war. Als er ihren Mercedes vor dem Büro stehen sah, packte ihn der Zorn. Sie war also absichtlich die ganze Nacht fortgeblieben. Aber warum? Man stelle sich seine Überraschung vor, als er die Bürotür verschlossen vorfand. Von Vinjinia keine Spur. Seine Hoffnung richtete sich jetzt auf Nyawĩra, doch als die nicht pünktlich erschien, wurde er unruhig. Auch er wusste nicht, wo Nyawĩra wohnte. Seine Kenntnis der südlichen Bezirke von Santalucia ging nicht über das hinaus, was er während seines letzten Besuchs im Schrein des Herrn der Krähen gesehen hatte. Wie konnten sich beide Frauen an ein und demselben Tag derart verantwortungslos verhalten? Er ging zum Mars Café, um in Erfahrung zu bringen, ob sich Nyawĩra dort herumtrieb.
Er versuchte, den Besitzer in ein Gespräch zu verwickeln, aber Gautama war wie immer mehr daran interessiert, über die jüngsten Forschungen nach Wasser und Leben auf dem Mars zu reden, als an einem belanglosen Gespräch über die Geschehnisse in Eldares. Mit Hartnäckigkeit gelang es Tajirika, Gautama doch zu bewegen, ihm über die drei Männer zu berichten, die wie Regierungsbeamte aussahen. Dass sie etwas im Schilde führten, hatte er aus der Unmenge Kaffee, die sie tranken, gefolgert und daraus, dass einer die Zeitung verkehrt herum hielt und vorgab zu lesen. An einer Stelle erwähnte Gautama, er habe gesehen oder glaube zumindest, gesehen zu haben, wie einer oder mehrere in das Büro der Eldares Modern Construction and Real Estate gegangen waren. „Sind Sie sicher?“, fragte Tajirika und bekam Angst. Tajirikas Stimmung hob sich auch nicht, als Gautama ihm zuflüsterte, selbst jetzt, während sie sich unterhielten, stecke die ganze Stadt voller uniformierter und verdeckter Ermittler, die eine Frau suchten: „Sie kennen die Frau – wie hieß sie doch gleich? – Nyawĩra. Ich glaube, das ist die Frau, die bei Ihnen arbeitet. Sie
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