Herr der Krähen
keinen Anruf vom Minister. Auch Officer Tumbo tauchte nicht auf. Tajirika starrte auf seine unvollendete Presseerklärung und hatte das Gefühl, in einer Sackgasse zu stecken. Wie sollte er Frauen öffentlich denunzieren, die ihm unterstanden und von denen er nicht wusste, wo sie waren? Was, wenn man diese Erklärung gegen ihn verwendete, ihn anklagte, sie ermordet und ihre Leichen im Hof verscharrt zu haben und so zu tun, als wüsste er nicht, wo sie sich aufhielten?
Mutlos und niedergeschlagen, weil er keinen klaren Ausweg fand, hielt er sich zum Trost und zur Unterstützung einfach an einem Whiskey fest.
In diesem Augenblick hörte er draußen ein Auto vorfahren. Er stand auf und wollte aus dem Fenster schauen, als das Telefon klingelte. Für einen Moment war er hin- und hergerissen zwischen Auto und Telefon. Dann nahm er den Hörer ab. Er war froh: Es war Machokali. Er war überzeugt, eine Unterhaltung mit seinem Freund, dem Minister, würde alles aufklären oder zumindest den Weg für seine Pressekonferenz frei machen.
Es war klar, dass Machokali nicht am Telefon sprechen wollte, und innerhalb weniger Sekunden hatten sie Zeit und Ort für ein Treffen vereinbart.
Als er den Hörer auflegte, hörte er das Auto davonfahren. Er eilte zur Tür.
Vinjinia trat ein.
„Wo zum Himmel hast du gesteckt?“, fragte Tajirika.
„In den geheimen Fängen unseres Staates“, antwortete Vinjinia kraftlos.
„Was erzählst du da?“, fragte Tajirika, den die Bestätigung noch mehr aus der Fassung brachte als die Ungewissheit zuvor.
8
„Staat“ und „Geheimnis“ sind oft eins. Die Geheimnisse sind nur wenigen bekannt. In einigen Ländern tragen sie den Titel Sekretär, in anderen heißen sie Minister, aber beide Bezeichnungen verweisen auf ihre Rolle als Hüter von Staatsgeheimnissen. Der Große Diktator von Aburĩria alias Herrscher der Freien Republik Aburĩria traute jedoch niemandem, wenn es um die Bewahrung seiner Geheimnisse ging. Selbst die Minister, von denen es hieß, sie stünden ihm nahe, weil sie abends die Letzten und morgens die Ersten waren, die ihn sahen, konnten sich weder ihres Schicksals sicher sein noch genau wissen, ob sie ihre Posten bei Sonnenuntergang oder Sonnenaufgang noch hatten.
Dafür gab es eine furchteinflößende Abfolge.
Wie oft hatte der Diktator einige von ihnen gefördert, Loblieder auf sie gesungen, sie zu jeder Zeremonie mitgenommen und ihnen genau in dem Augenblick, als sie anfingen zu glauben, sie wären tatsächlich „Vaters Liebling“, den Zauberteppich unter den Füßen weggezogen. Nach ihrem Absturz krochen die ehemaligen Lieblinge, verletzt und gebrochen, auf allen vieren und bettelten um Gnade und Vergebung – einen Tag, eine Woche, einen Monat, manchmal mehrere Jahre lang. Dann plötzlich, aus heiterem Himmel, erhörte der Diktator das Flehen des Mannes und schickte politische Geschenke, um sein Elend zu lindern. Steh auf und gehe, sagte der Diktator zum Erlösten, und fortan schwärmte dieser dankbar von der grenzenlosen Großzügigkeit des Diktators, vor allem, wenn er mit dem Vorstandsposten dieses oder jenes Aufsichtsrates gesegnet wurde oder dem Vorsitz irgendeiner Gesellschaft zum Schutz der wilden Tiere, vielleicht sogar mit einem neuen Ministerposten.
Die Fähigkeit des Diktators, einen Minister gegen den anderen auszuspielen, eine Region gegen die andere aufzustacheln oder Gemeinde gegen Gemeinde kämpfen zu lassen, war inzwischen legendär. Er stellte sich auf die Seite einer Kriegspartei, die über die Allianz mit der Macht frohlockte, nur um eines Morgens aufzuwachen und festzustellen, dass sich der Diktator auf die Seite ihrer Kontrahenten geschlagen hatte, zumindest vorübergehend, bevor er erneut die Seiten wechselte oder eine weitere Gruppe in die Auseinandersetzung trieb. Der Diktator aber machte einen guten Eindruck, wenn er zu Frieden und Verständigung aufrief, er schien darüberzustehen, und alle sich befehdende Parteien sahen in ihm den salomonischen Friedensbringer.
Obwohl sie sich dessen bewusst waren, wurden die Betuchten, die selbsternannten Führer von Gemeinschaften, die Mitglieder des Parlaments und vor allem die Minister des Kabinetts niemals müde, um den Platz auf der richtigen Seite des Vaters zu streiten. Der Sieger lebte in der ständigen Angst, von einem Rivalen, der die Kunst der Speichelleckerei vollendeter beherrschte, verdrängt zu werden. Die Schwierigkeit war, dass der Herrscher nie zeigte, was er von demjenigen erwartete,
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