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Herr der Krähen

Herr der Krähen

Titel: Herr der Krähen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ngugi wa Thiong
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Weissagungsrituale praktizierten, gründeten Kamĩtĩ und Nyawĩra ihre Tätigkeit auf der Philosophie, dass alle Krankheiten der Seele, des Geistes und des Körpers durch das gesellschaftliche Leben verursacht wurden. Sie schrieben sogar sieben Regeln für ein gesundes Leben auf:
    Pflege deinen Körper, denn er ist der Tempel der Seele
    Achte immer darauf, was du isst und trinkst
    Gier macht den Tod gierig nach dem Leben
    Zigaretten fesseln das Leben; Alkohol sperrt den Geist ein
    Das Leben ist ein einziger Fluss, aus dem Pflanze, Tier und Mensch trinken
    Das Gute entsteht aus der Ausgewogenheit
    Gib sie nicht für eine Fata Morgana preis
    „Wir brauchen einen passenden Namen dafür“, meinte Kamĩtĩ aufgeregt, als Nyawĩra beim Abendessen im Chou Chinese Gourmet zum ersten Mal über diese Idee sprach.
    „Wie sollen wir sie nennen?“, fragte Nyawĩra. „Die Sieben Gebote für ein Gesundes Leben?“
    „Oder die Sieben Prinzipien der Tugend – Grace!“, schlug Kamĩtĩ vor. „Erinnerst du dich, du hast in der Brilliant Girls High School immer das Tischgebet gesprochen? Unsere sieben Gebote werden das Leben preisen. Wir geben ihnen deine Namen: Grace und Mũgwanja, weil du die Idee hattest.“
    „Du weißt, dass ich den Namen Grace nicht mehr benutze.“
    „Genau deshalb sollten wir ihn nehmen. Denn das heißt, dass nur du und ich seinen Ursprung kennen.“
    „Gut, dann nennen wir sie die Sieben Kräuter der Tugend. Aber nur unter der Bedingung, dass auch wir nach diesen Geboten leben. Wir wollen nicht zu denen gehören, die immer predigen: Tu, was ich sage, nicht, was ich tue.“
    „Einverstanden“, sagte Kamĩtĩ. „Ich schwöre, niemals gegen diese Regeln zu verstoßen.“
    Ihren Patienten gaben sie die Sieben Kräuter der Tugend mit. Sie bestimmten sogar einen heiligen Tag, an dem sich die Menschen Körper und Geist als eine Einheit vorstellen sollten, als die Ganzheit, aus der ein Mensch bestand. Den Mittellosen gaben sie eine Schale Suppe, Bohnen und Reis oder ugali . Und allen, die am heiligen Tag kamen, erzählten sie von gesundem Leben durch die ausführliche Behandlung mit den Sieben Kräutern der Tugend. Deshalb nannten sie ihn Tag des Weges.
    Dieser Ritus bestärkte die Leute nur in dem Glauben, es gebe keine Krankheit, die der Herr der Krähen nicht besiegen könnte, denn selbst wenn die Krankheit schnell voranschritt, würde er sie überholen, und egal wo sie sich niederließe, und sei es in der Seele, der Herr der Krähen würde sie dort mit seinem starken Trank erwarten.
    Bedürftige wie Neugierige, sie alle wurden gleichermaßen vom Schrein angezogen.

3
    Niemand kann mit Bestimmtheit sagen, wer Maritha und Mariko als Erster vom Herrn der Krähen erzählte, denn bei ihren Sonntagsbeichten erwähnten sie ihn nicht ein einziges Mal, obwohl man des Öfteren hörte, wie sie sagten: Gott vollbringt seine Wunder auf geheimnisvolle Weise im Himmel wie auf Erden.
    Trotz ihres Schweigens in dieser Angelegenheit gab es Gerüchte, Maritha und Mariko hätten den Schrein ursprünglich im Rahmen ihres Feldzuges gegen Satan aufgesucht. Sie wollten den Herrn der Krähen von seinen satanischen Riten abbringen und zum christlichen Glauben bekehren. Einige behaupten sogar, sie hätten gesehen, wie sich das Paar dem Schrein mit einer schweren Bibel und einem großen Kreuz näherte. Das Tor hätte sich geöffnet, um sie hereinzulassen, und von selbst wieder hinter ihnen geschlossen. Im Innern des eingezäunten Geländes wunderten sich Maritha und Mariko zunächst, dass Bibel und Kreuz kein Eigenleben entwickelten wie damals, als der auf dem Esel reitende Herrscher All Saints besuchte oder als die Tragödie von Eldares ihren Lauf nahm!
    Ein Gehilfe, oder vielmehr die Person, die sie für den Gehilfen hielten, empfing sie höflich und bot ihnen sogar eine Tasse Tee an, die sie brüsk ablehnten. Sie seien nur gekommen, um den Herrn der Krähen zu sprechen. Der Gehilfe zeigte ihnen, wo sie sich setzen und warten konnten. In der Mitte der Mauer vor ihnen befand sich ein kleines Fenster. Es war einseitig verspiegelt, sodass Kamĩtĩ seine Klienten betrachten konnte, ohne selbst gesehen zu werden. Das erlaubte ihm nicht nur, vor der Weissagung ihre Gesichter zu studieren, sondern auch möglichen Ärger auszumachen, feindlich gesinnte Elemente, die hinter Nyawĩra her waren.
    Jetzt nahm sich der Herr der Krähen Zeit, in den Gesichtern seiner betagten Besucher zu lesen, und es amüsierte ihn ein wenig, wie sie da

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