Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Herr der Krähen

Herr der Krähen

Titel: Herr der Krähen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ngugi wa Thiong
Vom Netzwerk:
Magie und Weissagung glaubt, alte oder moderne, weiß ich nicht, wie ich euch helfen kann“, sprach der Herr der Krähen. „Ein Mensch kann weder durch Worte noch durch Taten geheilt werden, wenn er nicht an die Kraft dieser Worte oder Taten glaubt. Bei unserem Volk heißt es, guter Rat entspringt dem ehrlichen Wort, und wenn es darum geht, eine Krankheit zu heilen, dann sollten keine Tabus im Wege stehen. Ich will euch eine letzte Frage stellen. Wenn ihr ins Bett geht, wer zieht den anderen aus?“
    Sie wurden rot; die Frage und der Gedanke, nackt voreinander zu stehen, brachten sie in Verlegenheit.
    „Doktor, glauben Sie nicht, dass wir für solche Spielchen zu alt sind?“, sagten sie einstimmig, ohne zu merken, ihn als Arzt und nicht als Zauberheiler angesprochen zu haben.
    „Ihr habt also nie den Körper des anderen untersucht, um zu sehen, ob es irgendwelche Makel, Narben, Beulen oder sonst was gibt?“
    „Nein!“, riefen sie frei heraus und fragten sich, warum sie das nicht getan hatten, denn vielleicht würde das die Hitze oder Kälte ihrer Körper erklären.
    „Nun, ich habe keine Zaubertränke, die ich euch geben kann“, sagte der Herr der Krähen unmissverständlich offen. „Magische Zauberformeln habe ich auch nicht; geht einfach weiter euren Weg. Aber achtet darauf, wie ihr ihn geht. Habt ihr jemals getanzt, denn die, die …“
    „Oh, als wir noch jung waren, da haben wir getanzt“, protestierten die beiden, als hätte der Herr der Krähen sie gekränkt.
    „Wir haben uns um uns selbst gedreht, bis alle anderen aufhörten zu tanzen, um uns zuzusehen“, sagte Mariko.
    „Es war also eure Generation, die gesungen hat: ‚Tanzen heißt eins vor, eins zurück, dann die Drehung‘?“, fragte sie der Herr der Krähen.
    „Ja, aber inzwischen tanzen wir nur noch den Tanz Christi, unseres Erlösers“, fügte Maritha hinzu.
    „Eins vor, eins zurück, dann die Drehung zu Jesus“, ergänzte Mariko.
    „Tanzt weiter für euren Glauben“, sprach der Herr der Krähen in seinem Weissagungston, „und wenn euer Glaube es euch erlaubt, dann probiert einmal Folgendes aus: Wenn ihr wieder daheim seid, schaut nach, ob ihr Öl im Haus habt. Am besten ist Rizinusöl. Aber zuerst möchte ich wissen, wer kocht bei euch zu Hause?“, fragte er plötzlich, als wäre ihm dieser Gedanke gerade erst gekommen.
    „Sind Sie wirklich Afrikaner, Doktor?“, gab Mariko zurück, als beleidigte ihn die Frage. „Wenn wir Christen werden, geben wir doch nicht alle unsere Traditionen auf. Das Kochen war immer Frauensache“, sagte er und diesmal fügte Maritha Marikos Worten kein Ja oder Nein hinzu.
    „Steht irgendwo in der Bibel, dass ein Mann nicht kochen darf?“, fragte der Herr der Krähen.
    „Nein, nein“, antwortete Maritha.
    „Das ist einfach Brauch“, erklärte Mariko.
    „Dann ist das vielleicht ein Brauch, den ihr ändern könnt, zumal er euren Glauben nicht verletzt.“ Der Herr der Krähen wandte sich an Mariko. „In den nächsten Tagen solltest du ihr ein köstliches Gericht zubereiten, damit sie erfährt, wie deine Kochkunst schmeckt. Eine kleine Überraschung. Dann nimm eine Kerze, zünde sie an, stell sie auf den Esstisch. Alle anderen Lichter dämpfst du oder schaltest sie aus. Redet, erzählt euch Geschichten oder esst schweigend. Wichtig ist, dass ihr gemeinsam esst, bei weichem Licht. Dann macht Wasser warm. Entkleidet einander. Wascht euch gegenseitig. Dann reibt euch abwechselnd mit Öl ein; kein Fleck, keine Narbe darf unberührt bleiben. Seid nicht ihr Christen es, die sagen, der Körper ist der Tempel des Herrn? Lasst euch Zeit. Die Nacht gehört euch. Wenn ihr Makel an euren Körpern entdeckt, geht zum Arzt oder kommt wieder her, damit ich euch die richtigen Heilkräuter gebe.“
    Sie gingen fort, Bibel und Kreuz fest umschlossen, glücklich und erleichtert darüber, dass der Herr der Krähen sie nicht in magische Riten einbezogen hatte, bei denen ausgekochte Knochen, Perlen und Kaurimuscheln verwendet wurden, wie das dem Hörensagen nach bei anderen Zauberern und Hexenmeistern üblich war. Vielleicht hatten ihm Bibel und Kreuz diese Absicht zunichte gemacht. Sie waren froh, ihre heiligen Symbole mitgenommen zu haben. Sie gingen zurück nach Hause, sprachen über das, was sie im Schrein des Herrn der Krähen gesehen und gehört hatten, und waren erstaunt über die Macht ihres Erlösers, der den Zauberer gezähmt und ihn mild und sanftmütig gestimmt hatte.
    „Es war keine Bosheit in seinen

Weitere Kostenlose Bücher