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Herr der Krähen

Herr der Krähen

Titel: Herr der Krähen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ngugi wa Thiong
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laut. Sie konnten sich nicht erinnern, dass es geregnet hatte. Beide gingen sie an jeweils einem Graben entlang durch die Maisfelder bis hinunter ins Tal. Und dann? Die nächste Überraschung: Im sumpfigen, morastigen Talboden hatte sich ein Teich gebildet.
    Sie starrten sich an. Beide tauchten einen Finger in den Teich und probierten die Flüssigkeit. Sie war salzig wie Tränen. Keiner von beiden mochte glauben, was ihre Zungen schmeckten. Und weil sie eine Bestätigung brauchten, tauchten sie die Finger ein weiteres Mal in den Teich. Diesmal steckten sie dem anderen den Finger in den Mund. Das Wasser schmeckte immer noch salzig. Sie kicherten leise, gleichzeitig. Dann hielten sie die Finger schnell wieder in den Teich, wobei jeder hoffte, der Erste zu sein, der dem anderen das salzige Wasser gab. Es war, als hätte der eine die Absichten des anderen durchschaut, denn nun rannte Vinjinia in das Maisfeld und Tajirika folgte ihr in einer spielerischen Jagd.
    Sie ergaben sich der Erschöpfung dieses Treibens und spürten auf einmal wieder die Wärme ihrer Jugendtage. Für einen Moment standen sie still und schauten sich an, gebannt von dem, was ihnen da gerade widerfuhr. Sie wussten es eher, als dass sie darüber sprachen. Aber hier auf freiem Feld, im Schatten der Maisblätter, fühlte es sich gut an, sehr gut, und einige Minuten lang schienen die schmerzenden Wunden auf ihren Gesichtern und in ihren Herzen von dieser verzückten Stimmung geheilt, die Melodien summte und in einem stürmischen Crescendo endete.

6
    Weder Tajirika noch Vinjinia hätten es sich träumen lassen, dass ihre Schmerzenstränen solchen Freudenschreien weichen könnten. Der Schrei aber, der dann aus Vinjinias Mund kam, war weder vor Freude noch vor Schmerzen, und einige Sekunden lang brachte sie kein Wort heraus. Sie zeigte auf etwas. Tajirika schaute sich um. Der Anblick ließ auch ihn erstarren: Ein Vogelschwarm war direkt über dem Teich im Flug erstarrt. Ein paar Meter vom Ufer entfernt stand ein Hund im Wasser und bellte die Vögel an. Auch er erstarrte plötzlich vor ihren Augen.
    Tajirika und Vinjinia nahmen die Füße in die Hand und sahen sich nicht ein einziges Mal um, bis sie ihr Haus erreicht hatten. Der Talboden schien zu beben, als wäre er hohl. Was hatte dieses Wasser an die Oberfläche gebracht? Was hatte es mit den im Flug erstarrten Vögeln auf sich?
    Am nächsten Tag gingen sie wieder hin, in der Hoffnung, der Spuk wäre verschwunden. Er war es nicht. Jetzt waren auch noch Bienen und Schmetterlinge hinzugekommen, ebenfalls im Flug erstarrt. Auf der Wasseroberfläche waren Enten und Hühner, einschließlich eines Hahns, der gerade eine Henne besteigen wollte, mitten in der Bewegung eingefroren. Ebenso zwei Antilopen, die eine in der Luft, die andere beim Absprung.
    Sie gaben es auf, das Geheimnis zu ergründen. Als Gacirũ und Gacĩgua in den Ferien nach Hause kamen, verboten Tajirika und Vinjinia ihnen, sich dem Tal zu nähern oder darüber zu reden, und verstärkten das Verbot mit Geschichten von Dämonen, die Kinder in einen Teich im Tal lockten und sie verschlangen. Gacirũ und Gacĩgua gaben diese Geschichten jedoch an ihre Freunde weiter, und schließlich kamen sie den Eltern zu Ohren, die ihren Kindern streng untersagten, dieses Gebiet zu betreten.
    Die Eltern schmückten die Gruselgeschichten aus: Der Teich wurde zum See, der alles Leben, das mit ihm in Berührung kam oder darüberflog, zu Stein werden ließ. Sogar wenn man in seine Richtung schaue oder ihn nur ansehe, fügten andere hinzu, würde man in einen Stein verwandelt, was die Leute dazu brachte, selbst beim Gehen die Augen von der Richtung abzuwenden, in der sie den See vermuteten. Schweigen über den See war die Folge.
    Tajirika und Vinjinia aber fühlten sich vom Teich angezogen wie Motten vom Licht. Sie fanden eine Stelle, von der aus sie ihn betrachten konnten, vor allem an Abenden, wenn das Licht auf die bewegungslosen Objekte fiel und diese je nach Intensität und Einfallswinkel der Sonne vollständig die Farben änderten.
    Vinjinia und Tajirika nannten diesen Ort Museum der gefangenen Bewegung.

7
    Als sie einmal an ihrem Platz vor dem Museum der gefangenen Bewegung saßen, fragte Tajirika Vinjinia unvermittelt, wie es dazu gekommen sei, dass sie als Ehrengast zu einem zeremoniellen Tanz von Frauen eingeladen wurde, und ermahnte sie, ihn nicht anzulügen, weil er mit eigenen Augen Fotos von diesem Ereignis gesehen hätte. Sie nahm an, er würde

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