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Herr der Krähen

Herr der Krähen

Titel: Herr der Krähen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ngugi wa Thiong
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irgendwo bebe die Erde oder ein Vulkan sei ausgebrochen.
    Wie konnte dieser Bastard von einem Herrn der Krähen wagen, mich als Frau zu bezeichnen? Will er damit andeuten, dass meine Macht schwindet? Haben mich die westlichen Herrscher deshalb nicht empfangen?
    Vielleicht hatten sie auf ihn herabgesehen, weil in letzter Zeit kein Blut geflossen war wie in den frühen Tagen seiner Herrschaft, in denen er unerschrocken scharenweise aburĩrische Kommunisten umgebracht hatte. Wie soll ich ihnen beweisen, immer noch derselbe zu sein?, fragte er sich. Doch beachtete er weiterhin das selbst auferlegte Moratorium zum Blutvergießen, um die Global Bank zu beeindrucken. Ein Ohnmachtsgefühl verstärkte seine Niedergeschlagenheit. Er fühlte sich von seinen Freunden im Westen verlassen und von seinem Volk verschmäht. Wie konnte ein Zauberer es wagen, ihm ins Gesicht zu sagen, er sei eine Frau? Und nicht nur der Zauberer. Sogar die Frauen selbst …
    Diesen Gedanken verfolgte er nicht zu Ende, weil er ihm plötzlich die Frauen der Schmach von Eldares ins Gedächtnis rief, und die Erinnerung an diese Tat in Anwesenheit von Diplomaten aus allen Teilen der Welt heizte sein Hirn erneut mit Wut auf. Dieses schändliche Schauspiel war die Quelle des gegenwärtigen Mangels an Furcht und Respekt. Nyawĩra fiel ihm ein. Hatte man sie gefasst?, fragte er sich. Er dachte an die jüngste Welle des Ehemännerverprügelns. Hatte ich Sikiokuu nicht die Aufgabe übertragen, die Rolle der Frauen und ihrer Verwicklung in abweichlerische Politik zu untersuchen? Er beschloss, nach Sikiokuu zu schicken, und brach damit zumindest die selbst auferlegte Abschottung von seinen Ministern. Sikiokuu, Staatsminister im Büro des Herrschers, spürte, wie Stolz in ihm aufkam, weil er das erste Kabinettsmitglied war, das seit der Rückkehr des Herrschers aus Amerika zu einer Audienz geladen wurde.
    Der Herrscher verschwendete keine Zeit mit Einleitungen und kam gleich auf den Punkt. „Bevor ich mich auf den Weg nach Amerika machte, habe ich dir mehrere Aufgaben übertragen: Nyawĩra festzunehmen, der Bewegung für die Stimme des Volkes das Rückgrat zu brechen und den Schlangenwahn zu untersuchen. In Amerika haben mich jedoch Berichte erreicht, dass in Aburĩrias Wohnzimmern jetzt die Frauen regieren und einige so dreist geworden sind, Volksgerichte einzusetzen und am helllichten Tag Männer zu verprügeln. Was hast du dazu zu sagen?“

2
    Falls Sikiokuu über die neue Größe und Gestalt des Herrschers bestürzt war, so ließ er sich das weder durch Blicke noch durch Gesten anmerken. Sikiokuu hatte seine Zuträger beim Sicherheitspersonal und Verbündete unter den Ministern. Er schien nicht einmal besonders beunruhigt, als der Chef ihm befahl, den preisenden Prolog wegzulassen und zur Sache zu kommen.
    Er wisse nicht, wo und wie er anfangen solle, sagte Sikiokuu, denn er habe eine Menge zu berichten. Auch wenn der Bewegung für die Stimme des Volkes das Rückgrat noch nicht vollständig gebrochen sei, habe er doch in nahezu allen Bereichen der Gesellschaft Strohmänner untergebracht und die illegale Bewegung damit praktisch lahmgelegt. Vor allem aber sei es ihm gelungen, den führenden Kopf hinter allem Übel im Land zu entdecken und zu identifizieren. Er machte eine Pause, um die Wirkung seiner Andeutungen zu beobachten. Der Herrscher zog die Brauen hoch und fragte: „Wer?“ Sikiokuus Gesicht straffte sich und seine Backen blähten sich vor kaum unterdrücktem Zorn.
    „Wie kann ich es aussprechen, wenn ich schon den Gedanken hasse, dass meine Zunge seinen Namen wiederholen soll?“
    „Wer ist es?“, fragte der Herrscher und hob ungeduldig die Stimme. Genau das hatte Sikiokuu beabsichtigt, denn es sollte so aussehen, als beugte er sich lediglich einem Befehl des Herrschers.
    „Der Minister für Auswärtige Angelegenheiten“, sagte Sikiokuu und senkte angesichts dieses offenkundigen Vertrauensbruchs traurig die Stimme.
    „Machokali?“
    „Genau, der mit dem Namen, den Sie gerade erwähnt haben“, antwortete Sikiokuu, der erneut größtes Widerstreben zeigte, den Namen auszusprechen.
    „Machokali?“, fragte der Herrscher wieder.
    „Ja.“
    Schweigen. Sikiokuu blickte kurz auf, um zu sehen, was der Herrscher wohl dachte, entdeckte aber nur ein Zucken auf dem sonst unbeweglichen Gesicht – eine unwillkürliche Reaktion aus Angst vor Schmerzen –, und dieses Zucken sowie die nun folgende Frage „Woher weißt du das?“ hielten ihn davon ab, zu

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