Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Herr der Krähen

Herr der Krähen

Titel: Herr der Krähen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ngugi wa Thiong
Vom Netzwerk:
Ägypten. Die Historiker berichten von einem afrikanischen General namens Malik Amber, der …“
    „… in Indien herrschte?“, ergänzte Tajirika den Satz spöttisch.
    „Ja“, sagte Kamĩtĩ begeistert, „wenn auch nicht in ganz Indien. Wissen Sie, so um das sechzehnte Jahrhundert herum war Indien kein …“
    „Sie haben also auch die hohe Kunst studiert, Lügen zu verbreiten?“, fiel ihm Tajirika ins Wort, brach in schallendes Gelächter aus und zwinkerte der Sekretärin zu, als wollte er sagen: Sie haben es mit eigenen Ohren gehört. „Oder bauschen Sie ihre Märchen nur noch ein wenig auf?“
    „Ich lüge nicht. Das ist nur eine Hypothese“, sagte Kamĩtĩ und versuchte, das Gespräch auf ein anderes Thema zu lenken. „Auch wenn wir Fragen der Abstammung und Staatsbürgerschaft beiseite lassen, bleibt doch die Rolle, die Indien und die Inder im Kampf für die Unabhängigkeit Afrikas spielten. Eine Reihe von ihnen schloss sich den Afrikanern an, um den Kolonialismus zu beseitigen. Und Mahatma Gandhi – ist er nicht erst nach fünfzehn Jahren antikolonialen Kampfs in Südafrika nach Indien zurückgekehrt, um dort Satyagraha und Ahimsa gegen die britische Herrschaft zu organisieren? Finden Sie nicht auch, dass es etwas von Schönheit hat, wie dieser Mann in Leinen und Sandalen, mit nichts als einem Gehstock und seinem Bekenntnis zur Gewaltlosigkeit bewaffnet, gegen die Macht des britischen Empires anging?“
    „Verstehen Sie jetzt, was ich meine?“, fragte Tajirika. „Er entfacht in Südafrika einen Flächenbrand und was macht er dann? Haut ab, wenn es ernst wird und überlässt es anderen, das Feuer zu löschen oder darin zu verbrennen. Junger Mann, man hat Sie in Indien ganz schön mit Propaganda vollgestopft. Also, was haben Sie außer Gandhis Propaganda und Nehrus Machtmonopol noch mitbekommen?“
    „Sagen wir es so: Ich habe gelernt, dass es kaum Unterschiede zwischen der politischen Wesensart von Indern und Afrikanern gibt. Einige lieben ihre Geschichte und ihre Hautfarbe und andere hassen beides …“
    „Nun fangen Sie schon wieder damit an! Ich frage Sie, was Sie sonst noch in Indien gelernt haben, und Sie antworten, indem Sie mir etwas über Hautfarbe erzählen?“, unterbrach ihn Tajirika streng und verärgert.
    Sogar die Sekretärin war von dieser heftigen Reaktion überrascht, fast als hätte er die Bezugnahme auf die Hautfarbe als persönliche Beleidigung empfunden.
    Kamĩtĩ, der versucht hatte, seinen zukünftigen Chef mit dem Umfang und der Tiefe seines Wissens zu beeindrucken, war sich jetzt nicht mehr sicher, wohin das Gespräch führen sollte oder was Tajirika wirklich wollte. Jedes Mal, wenn er versuchte, seine Bildung unter Beweis zu stellen, sah er sich kaum verhülltem Hohn und nun auch noch diesem Wutausbruch gegenüber. Was war der Unterschied zwischen Tajirikas Beleidigungen und dem, was der üblen Nachrede nach reiche Inder schwarzen Aburĩriern antaten? Kamĩtĩ wurde klar, dass er sich in seinen Antworten kurz und präzise ausdrücken musste, ohne sich groß über die Folgen Gedanken zu machen. Gleichzeitig wollte er hier nicht ohne Arbeit weggehen und hatte deshalb das Bedürfnis, alles zur Sprache zu bringen, was er gelernt hatte, damit nicht der Eindruck entstand, seine Bildung sei unzulänglich. Man sprach in Aburĩria ohnehin eher abfällig über die Ausbildung in Indien. Manche behaupteten sogar, dass man die indischen Abschlüsse auf dem Markt kaufen konnte, und er wollte nicht den Verdacht aufkommen lassen, er selbst sei irgendwann in Chennai die lange Mount Road bis nach George Town hineingelaufen, um dort den billigsten Satz von Abschlusszeugnissen zu erfeilschen.
    „Also“, fuhr Kamĩtĩ mit gezwungener Begeisterung fort, „wie ich schon sagte, man kann in Indien eine Menge lernen. Ich habe noch ein Wahlfach belegt, Phytotherapie, die Wissenschaft von der Heilkraft der Pflanzen. Ich kann Ihnen versichern, Sir, dass es in Bezug auf Pflanzen, Wurzeln, Blätter oder Rinden nichts gibt, das ich nicht genauer untersucht habe. Wenn ich das Geld dazu hätte, würde ich die Pflanzenvielfalt Aburĩrias erforschen und ihre heilenden Kräfte dokumentieren, aber selbst ohne wissenschaftliche Forschung …“
    „Hat man Sie deshalb Kamĩtĩ getauft, Mr. Woods?“, unterbrach ihn Tajirika lachend.
    „Meine Mutter hat mir erzählt, dass ich schon als kleines Kind großes Interesse an Pflanzen und allem Lebendigen gezeigt habe.“
    „Übrigens“, fragte Tajirika,

Weitere Kostenlose Bücher