Herr der Krähen
subjects!“, antwortete Kamĩtĩ. „Bis heute hat die University of Madras viele englische Traditionen bewahrt. Die Stadt selbst wurde 1639 von Angestellten der British East India Company gegründet. Einer der ersten Gouverneure der Region, er hieß Elihu Yale oder so ähnlich, spendete später sein Vermögen zur Gründung der Yale University, einer der Eliteuniversitäten in den Staaten. Sie sehen also …“
„Wir sind hier aber nicht auf dem Gelände der British East India Company, sondern bei Eldares Modern Construction and Real Estate, und Ihr Elihu Yale ist nicht der Gouverneur. Hier bin ich der Chef, und mein Interesse an Yale beschränkt sich auf Schlösser und Schlüssel der Firma Yale. Und noch eins, junger Mann: Wir stehen jetzt am Anfang des neuen Jahrtausends, des dritten Jahrtausends nach Christi Geburt, und nicht mehr in der Mitte des letzten. Oder wollen Sie mir allen Ernstes weismachen, dass man Ihnen an der Madras University das Englisch des siebzehnten Jahrhunderts beigebracht hat?“
„Oh, no no!“, antwortete Kamĩtĩ, im Glauben, der andere würde ihn noch immer prüfen und ihm wieder eine Falle stellen. „Modern English. The King and Queen’s English.“
„Das ist gut, weil ich Sie nämlich in modernem Englisch prüfen möchte!“
„Ich bin bereit“, sagte Kamĩtĩ, entschlossen, selbst den letzten Brocken Englisch, den er in Aburĩria, Indien und aus Büchern gelernt hatte, zum Einsatz zu bringen.
„Es ist ganz einfach. Ich möchte, dass Sie mir laut vorlesen, was auf diesem Schild steht.“
Noch bevor er die Worte aussprach, war Kamĩtĩ klar, dass Tajirika mit ihm spielte. Dennoch hörte er sich laut vorlesen: „No Vacancy: For Jobs Come Tomorrow!“
„Na also! Sie haben es völlig richtig vorgelesen!“, lachte Tajirika triumphierend. „Und nun sagen Sie mir mal, was Sie daran nicht verstehen? Oder brauchen Sie einen Hindi-Dolmetscher? In diesem Unternehmen haben wir keinen Bedarf an Ihrer Heilpflanzenkunde. Hier haben Sie Ihre indischen Zeugnisse zurück. Dort drüben ist die Hauptstraße. Und jetzt entschuldigen Sie mich, denn ich habe eine wichtige Verabredung im Paradise.“
3
Selbst als er seine Papiere bereits in den Händen hielt, mochte Kamĩtĩ noch immer nicht glauben, was seine Augen und Ohren gerade erlebt hatten. Seine Zunge lag trocken in seinem Mund und seine Füße klebten am Boden. Er stand da, sprachlos und ohne zu wissen, ob er nun gehen, sich setzen oder stehen bleiben sollte. Erst als Tajirika sich etwas entfernt hatte, dämmerte es Kamĩtĩ, dass alles tatsächlich geschehen war. Er wusste nicht, ob er dem Mann nachlaufen und ihm in den Arsch treten sollte oder die Erde bitten, sich aufzutun und ihn selbst zu verschlingen. Ihm war nach Weinen zumute, aber es kamen keine Tränen. Warum hatte Tajirika ihm diesen Dolchstoß verpasst?
Er setzte sich an der Straßenböschung auf den Boden. Es schien ihm, als wären selbst die Gebäude ihm gegenüber Zeugen seiner Schande geworden und hätten in ihrem steinernen Schweigen jetzt Mitleid mit ihm. Autos und Fußgänger eilten aneinander vorbei, als würden sie alle wissen, was sie taten und wohin sie unterwegs waren, und nur er wusste nicht, was er tun sollte. Er hatte nicht einen Cent Fahrgeld für ein matatu , ein mkokoteni , ein mbondambonda oder ein anderes von Menschen gezogenes Gefährt. Doch selbst, wenn er Geld hätte, welches Ziel sollte er angeben?
Hatte jemand einen bösen Zauber auf ihn gelegt oder stand er unter einem Fluch? Diese Frage bestürzte ihn. Er glaubte nicht an Verwünschungen und bösen Zauber, er glaubte an die Wissenschaft. Doch was da gerade ein Vorstellungsgespräch hätte gewesen sein sollen, widersprach jeglicher Logik. In genau diesem Augenblick fuhr Tajirika in einem Auto mit Fahrer vorbei, als wollte er in der Angelegenheit noch ein Ausrufezeichen setzen.
Wie hoch hatte Tajirika die Sprossen der Bildungsleiter erklommen?, fragte sich Kamĩtĩ, oder hatte ihn lediglich die Geschäftswelt gelehrt, Vorstellungsgespräche bedürftiger Arbeitssuchender so gnadenlos zu führen?
Kamĩtĩ hatte oft ernsthaft darüber nachgedacht, selbst ein Unternehmen zu gründen. Mit seinem BA und dem MBA besaß er sicher die nötige Bildung, doch erforderte der Aufbau eines Unternehmens zum einen Kapital und zum anderen Land. Selbst wenn man mit Fischreichtum im Meer gesegnet wäre, bräuchte man noch immer wenigstens ein Netz, eine Angel und einen Haken.
Wie an vielen Tagen beschlich ihn
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