Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Herr der Krähen

Herr der Krähen

Titel: Herr der Krähen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ngugi wa Thiong
Vom Netzwerk:
gereizt, weil Kamĩtĩ ihn unterbrochen hatte, gerade als er anfing, sich für sich selbst zu begeistern.
    „Ich war schon bei mehreren anderen Firmen“, erklärte Kamĩtĩ.
    „Und nun glauben Sie, dass der Besitzer dieser Räumlichkeiten alle Zeit der Welt hat?“
    „Ich wollte nur sagen, dass ich den ganzen Tag auf den Beinen war“, versuchte Kamĩtĩ ihn zu besänftigen.
    „An anderen Tagen sind Sie wohl mit einem Mercedes von Firma zu Firma gefahren?“
    Kamĩtĩ schluckte die Beleidigung und hoffte, der Chef würde Mitleid haben und ihm eine Unterredung gewähren.
    „Ein Gespräch. Ich möchte doch nur ein Vorstellungsgespräch.“
    Plötzlich hatte Tajirika eine Idee. Seine Backen plusterten sich ein wenig auf, als müsste er ein Lachen unterdrücken; er lachte aber nicht. Er setzte sich auf die Tischkante, den rechten Fuß auf dem Boden, den linken ein paar Zentimeter in der Luft. Seinen Stab hielt er jetzt mit beiden Händen.
    Die Sekretärin war völlig gefesselt von dem, was sich vor ihren Augen abspielte. Dieser Mann, wer auch immer er war, musste über geheime Kräfte verfügen, dachte sie. Wie sonst konnte es ihm gelingen, so schnell das Herz ihres Chefs zu erweichen?
    „Welche Art von Arbeit suchen Sie denn?“
    „Welche auch immer verfügbar ist“, antwortete Kamĩtĩ hastig und umklammerte seine Tasche noch fester. Vielleicht war ihm ja heute Morgen als gutes Omen ein Vogel begegnet. Das war das Angenehmste, wenn man die Nacht im Freien verbrachte. Man wurde auf jeden Fall von Vögeln geweckt, und ob sie nun Glück oder Unglück brachten, sie weckten einen zumindestens mit Gesang.
    „Was für einen Abschluss haben Sie?“
    „ BA , in Ökonomie. Master in Business Management, MBA .“ Er fuhr mit der Hand in die Manteltasche, als suchte er etwas. „Tut mir leid, ich habe keine Visitenkarte.“
    Tajirika und die Sekretärin schauten mit lebhaftem Interesse und Neugier zu Kamĩtĩ hinüber. Allerdings beschäftigten die beiden völlig unterschiedliche Gedanken. Die Sekretärin erinnerte sich an ihren eigenen Schmerz, ihre Probleme und ihr ängstliches Bestreben zu gefallen. Tajirika hingegen dachte, dass der Mann log, was seine Universitätsabschlüsse und Visitenkarten, betraf. Kamĩtĩ spürte die Skepsis und beeilte sich, dem Chef seine Zertifikate zu übergeben, bevor der seine Meinung änderte. Tajirika schob den Stab unter die linke Achsel, um mit der behandschuhten Rechten die Papiere entgegenzunehmen. Er überflog sie und nickte, als wäre er zufrieden.
    „Indien?“
    „Oh, ja. Indien bringt heute einige der hervorragendsten Computerspezialisten der Welt hervor. Im Silicon Valley in Nordkalifornien in Amerika wimmelt es nur so von jungen Genies aus Indien und Pakistan.“
    „Und wie sind Sie mit ihrem Masala-Curry und dem Chili zurechtgekommen?“
    „Mit dem Essen ist es überall gleich“, antwortete Kamĩtĩ. „Es ist eine Frage der Gewöhnung. Außerdem ist unsere Küche in Aburĩria von der indischen Küche beeinflusst.“
    „Ach, das hätte ich beinahe vergessen, natürlich – wir haben ja auch unsere Inder hier, in manchen Straßen riecht es nur so nach Knoblauch und Curry“, meinte Tajirika, als spräche er mit sich selbst.
    Bei dem Gedanken an Essen wurde Kamĩtĩ leicht schwindlig. Ihm hätte jetzt ein winziger Bissen genügt, sogar vom schärfsten Chili. Doch er beherrschte sich und fügte hinzu: „Wir sollten nicht vergessen, dass Indien nicht nur Curry und Knoblauch bedeutet, sondern dass Indien und Pakistan Atommächte sind. Beide haben zum Erstaunen des Westens erfolgreich Atombomben getestet. In Indien werden viele Computerchips hergestellt. Und es gibt auf der Welt nur wenige Universitäten, an denen keine indischen Professoren lehren – und zwar solche, die auch an indischen Schulen und Universitäten ausgebildet wurden. Der Inder ist nicht nur dukawallah und sonst nichts, genauso wenig, wie die Afrikaner nicht nur Schuhputzer sind.“
    „Und haben Sie dort gelernt, ein richtiges Curry zu kochen?“, fragte Tajirika, dem nicht auffiel, wie sehr er Kamĩtĩ mit seinem Gerede über Essen folterte. „Hier lassen sie uns ja nicht in ihre Häuser.“
    „Nun ja, zum Überleben reicht’s“, meinte Kamĩtĩ unbestimmt und versuchte das Thema zu wechseln.
    „Mhm! Sie sind also hoch qualifiziert?“, murmelte Tajirika und prüfte die Zertifikate gründlich.
    „Ich möchte nur eine Chance“, sagte Kamĩtĩ bescheiden, obwohl er nicht ungern hörte, dass seine

Weitere Kostenlose Bücher