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Herr der Krähen

Herr der Krähen

Titel: Herr der Krähen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ngugi wa Thiong
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Unternehmer.“
    „Tajirika? Titus Tajirika?“
    „Wie immer er heißt.“
    „Haben Sie einen Termin?“
    „Nein.“
    „Dann können Sie nicht zu ihm.“
    „Ich muss ihn aber sprechen, bitte.“
    „Junger Mann, wollen Sie, dass ich meinen Job verliere?“, lachte sie. „Ich habe diese Stelle erst vor ein paar Monaten bekommen“, ergänzte sie, schlug das Buch zu und legte es auf den Tisch.
    Das Auge wandert, wohin es will, sagt ein Sprichwort, und Kamĩtĩs Augen wanderten zum Titel des Buches: „Shetani Msalabani“. Was war das für eine Sekretärin, die sich die Zeit nicht mit Nägelfeilen vertrieb oder in billige Liebesromane vertieft war? Ihre Stimme klang obendrein sanft.
    Jahrelang war Kamĩtĩ auf der Suche nach Arbeit die Straßen von Eldares auf und ab gezogen. Er war afrikanischen, asiatischen und europäischen Firmenbossen begegnet, die allesamt dazu neigten, in schwarzen Aburĩriern potentielle Diebe zu sehen. Oft war er beleidigt worden, und einmal hatten Sicherheitskräfte sogar Hunde auf ihn gehetzt. Er war auch den verschiedensten Sekretärinnen begegnet, von denen einige zwar freundlich zu ihm gewesen waren, viele ihn jedoch angeschnauzt hatten, als wäre die Suche nach Arbeit ein Verbrechen. Doch die Sekretärin, der er jetzt gegenüberstand, schien sich anders zu verhalten, obwohl er nicht genau sagen konnte, worin der Unterschied lag.
    „Madam, wenn ich Ihnen meine Geschichte erzählen würde, wäre Ihnen klar, warum ich Ihren Chef sprechen muss. Im Augenblick würde ich sogar Toiletten putzen.“
    „Gibt es in Eldares überhaupt noch Toiletten?“, fragte sie etwas irritiert.
    „Na ja, Latrinen.“
    „Und da die Scheiße rausholen? Und sie anschließend reinigen?“, fragte sie.
    „Ich nehme jede Arbeit an.“
    Die Sekretärin musterte Kamĩtĩ neugierig. Er hatte dunkle Haut, war groß und schlank und hielt eine Tasche in der Hand. Der graue Anzug, den er trug, musste gut ausgesehen haben, als er neu war, hatte vielleicht auch eine ganze Menge gekostet, jetzt aber war er abgetragen und hatte Flicken an den Ellbogen.
    „Verstehe. Wenn das so ist, würde ich vorschlagen, dass Sie morgen wiederkommen. Es ist jetzt fünf Uhr. Mein Chef wird jeden Augenblick gehen. Ich wäre schon längst weg, wenn er mich nicht gebeten hätte, noch eine Weile zu bleiben. Sie haben also Glück. Ich will mal sehen, welche Termine er morgen hat.“
    „Bitte, lassen Sie mich zu ihm – er wird es verstehen, wenn ich ihm meine Geschichte erzähle.“
    „Wissen Sie …“ Sie zögerte, beugte sich leicht nach vorn und senkte die Stimme, als wollte sie ihm ein Geheimnis verraten. „Mein Chef ist ein sehr wichtiges Mitglied von Marching to Heaven und wird sich gleich auf den Weg zu einem Abendempfang zu Ehren der GB-Delegation machen.“
    „GB? Großbritannien?“, fragte Kamĩtĩ etwas verwirrt. Was erzählte sie ihm da und was hatte das Abendessen damit zu tun, ihm einen Termin zu geben?
    „Nein, nicht Großbritannien. Global Bank!“
    In diesem Augenblick tauchte Tajirika aus dem angrenzenden Zimmer auf. Betont auffällig verstaute er eine Pistole in seiner Jackentasche und machte dem forschen Eindringling damit deutlich, dass er bewaffnet war.
    Kamĩtĩ wurde überwältigt von einem durchdringenden Gestank, der ihm in die Nase stieg und sekundenlang den Atem nahm. Dennoch hielt er sich aufrecht und strengte sich an, nicht auf den fauligen Geruch zu reagieren, während er den Chef musterte. Tajirikas Bauch war ein wenig zu imposant und sein dunkler Anzug ein wenig zu knapp. Der eng anliegende Handschuh an seiner Rechten passte farblich zu seiner Haut und umfasste einen kleinen Stab, eine Kopie des Herrscherstabs, den er beim Sprechen fortwährend in die Handfläche der Linken klatschen ließ, um zu betonen, was er sagte.
    Tajirika blickte von Kamĩtĩ zur Sekretärin, als wollte er fragen: Von welchem Misthaufen hast du den denn geholt?
    „Der Herr möchte Sie sprechen“, reagierte die Sekretärin.
    Tajirika betrachtete Kamĩtĩ noch einmal. Aber als der etwas sagen wollte, kam ihm Tajirika zuvor.
    „Haben Sie nicht gehört, was meine Sekretärin gesagt hat? Ich muss los, die Delegation der GB begrüßen. Verstehen Sie? Die Global Bank, die Bank für die ganze Welt. Ich habe eine persönliche Einladung eigenhändig vom Minister bekommen, einem sehr guten Freund von mir, und …“
    „Arbeit. Alles, was ich suche, ist Arbeit“, stotterte Kamĩtĩ.
    „Was? Um diese Zeit?“, fragte Tajirika

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