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Herr der Krähen

Herr der Krähen

Titel: Herr der Krähen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ngugi wa Thiong
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zu besuchen beabsichtigte. Und was Bücher betraf, so war auch das machbar. In Anerkennung der Tatsache, dass der Herrscher der Schriftsteller Nummer Eins war, würden alle Bücher im Land unter dem Namen des Herrschers veröffentlicht werden. Wer vorhatte, zu schreiben und zu veröffentlichen, sollte dies ausschließlich unter dem Namen des Herrschers tun können, der seinen Namen nur den Büchern schenken würde, die von der Unterabteilung für die Konformität der Jugend einer sorgfältigen Prüfung unterzogen und genehmigt worden waren. Alle Neuausgaben von Bibel, Koran, Tora und von Buddhas Buch des Lichts würden ein Vorwort und eine Einleitung des Herrschers erhalten. Ein solches Bildungssystem brächte Studenten hervor, deren einheitliches Wissen von einer einzigen Quelle kam: vom Herrscher oder von denjenigen, die mit seinem Denken vertraut waren.
    Kaniũrũ berief ein Beratungsgremium, bestehend aus Universitätsprofessoren der Geschichtswissenschaft, Literaturwissenschaft, Politikwissenschaft, Rechtswissenschaft, Philosophie und der Naturwissenschaften. Sie gehörten sämtlich „Seiner Allmächtigen Jugend“ an und unterstanden seinem Befehl. Er gab ihnen das Memorandum und bat sie, es sich kritisch anzusehen und Anmerkungen und nötige Korrekturen zu machen. Aber sie waren alle nur voll des Lobes. Der Entwurf sei sehr gut geschrieben und enthalte das beste Bildungsprogramm, das sie je gesehen hätten. Sie machten sich daran, die effektive Umsetzung dieser Bildungsinitiative auszuarbeiten, und vertraten die Ansicht, dass es am besten sei, wenn man diese Idee zuerst den Studenten und Schülern an den Universitäten und höheren Schulen verkaufte. Hätten die Studenten es erst einmal angenommen – und der Beratungsausschuss sah darin kein Problem, weil das Memorandum alle Forderungen der Studenten und Schüler befriedigte –, sollte Kaniũrũ das Dokument dem Herrscher vorlegen, damit es offiziell zur Bildungspolitik der Regierung erklärt würde. Sie gaben dem Memorandum einen gewichtigen und einprägsamen Titel: „Das Kaniũrũ-Memorandum zu Neuen Bildungsinitiativen für Jugendliche und Frauen zum Zwecke ihrer Ausrichtung auf Nationale Ideale und die Philosophie des Herrschers.“
    Einer der Professoren, ein Spezialist in allen Spielarten der Papageiologie, machte den Vorschlag zu Regionalseminaren, damit Studenten und Öffentlichkeit vom neuen Bildungsprogramm in Kenntnis gesetzt wurden. Das erste Seminar sollte in Eldares stattfinden, und Kaniũrũ erhielt auf seinen eigenen Vorschlag hin den Auftrag herauszufinden, ob nicht der Herrscher die Veranstaltung eröffnen könnte.
    Kaniũrũ war außer sich vor Freude. Er wusste, dass der Herrscher nicht zu diesem Seminar kommen konnte. Aber wenn sein Name in einem Atemzug mit dem des Herrschers genannt wurde …? Eine Botschaft, ein oder zwei Grußworte des Herrschers, würden völlig ausreichen.

15
    Keiner gerät schneller in Wut als ein Dieb, der bestohlen wird. Dieses Sprichwort traf voll und ganz auf Silver Sikiokuu zu, den Staatsminister im Büro des Herrschers. Obwohl er jahrelang Bestechungsgelder in Millionenhöhe eingeheimst hatte, ohne etwas Falsches darin zu sehen, fühlte er sich jetzt verletzt und gekränkt, weil der Herrscher ihm befohlen hatte, Geld zurückzuzahlen, von dem er nicht einen Cent gesehen hatte. Er hatte von Kaniũrũs betrügerischen Plänen mit Marching to Heaven nicht die leiseste Ahnung gehabt. Noch mehr erzürnte ihn aber, dass er den Jugendbrigadisten selbst protegiert hatte. Warum kann man den Leuten so wenig trauen?, fragte er sich immer wieder. Wie konnte Kaniũrũ seinem Wohltäter gegenüber nur so undankbar sein? Er dachte daran, sich an Kaniũrũ zu rächen, wusste aber nicht, wie er ihm einen schmerzlichen Schlag versetzen konnte. Das einzige Licht am Ende des Tunnels war das Versprechen des Herrschers, ihm die Schulden zu erlassen, sollte Nyawĩra gefasst werden. Doch bisher hatte sich die Gefangennahme als entmutigend schwer erwiesen.
    Inmitten dieser Agonie erhielt Sikiokuu eines Tages die Nachricht, dass beim Zoll ein Paket auf ihn warte. Er schickte einen Kurier, um es abzuholen. Es war einer der Spiegel, den er in London bestellt hatte, und bald darauf trafen weitere aus Tokio, Rom, Stockholm, Paris, Berlin und Washington ein.
    Angesichts dieses guten Omens schlenkerte Sikiokuu vor Freude mit den Ohren. Er malte sich aus, wie er Nyawĩra fangen, sie vor den Herrscher zerren und theatralisch verkünden

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