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Herr der Krähen

Herr der Krähen

Titel: Herr der Krähen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ngugi wa Thiong
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schwanger. Er hatte den Schlangenwahn ausgelöst, die Frauen angestiftet, sich gegen ihre Männer zu erheben, und jetzt das: eine unendliche Zahl weißer Termiten, die in seinem Palast Erdhügel aufhäufte! Dieser Mann durfte nicht frei im Land herumlaufen. Noch durfte er über Macht verfügen, die er, der Herrscher, nicht besaß! Er würde ihn verhaften lassen und ihn mit Schmeicheleien und Versprechen besänftigen, bis er die Geheimnisse seines Wissens preisgab: wie man Geldsträucher pflanzte und mit Spiegeln weissagte. Sobald er sich die Fähigkeiten des Zauberers einverleibt hatte, wollte er ihn in den Kerker werfen lassen und das Schwein in seinem eigenen Fett schmoren, denn ihm schwebte nichts Geringeres vor, als selbst der Zauberer Nummer Eins zu werden.
    Keuchend vor Wut und Erwartung befahl der Herrscher Kaniũrũ, Sikiokuu und Machokali, sich zu erheben.
    „Wer Schmalz in den Ohren hat, sollte es herauspulen, damit er deutlich hört, was ich zu sagen habe. Machokali, bring mir den Herrn der Krähen. Lass dir von ASS Arigaigai Gathere helfen und bring ihn mir lebend und in Ketten, nicht tot in einem Leichentuch. Und was euch drei angeht: Von heute an will ich Ergebnisse sehen. Ich bin gespannt, wer seine Aufgabe als Erster erfüllt!“
    Der Wettstreit, wer diese Rivalität zwischen Kaniũrũ, Sikiokuu und Machokali für sich entschied, begann mit aller Härte. Sein Ausmaß und der zu erwartende Ausgang gingen weit über die Niederschrift der Gelöbnisse hinaus, über die der Herrscher kein Wort verloren hatte. Der Preis des Erfolgs, dachte jeder, würde berauschend sein, der Preis des Scheiterns tödlich.
    Der Herrscher entließ alle bis auf seinen neu ernannten Gouverneur der Central Bank. Die Entscheidungen hatten ihn in Hochstimmung versetzt; endlich hatte er, seit dem Besuch der Global-Bank-Delegation und seiner missglückten Amerikareise, von der er mit leeren Händen zurückgekehrt war, wieder angefangen, den Lauf der Dinge zu kontrollieren.
    „Und nun, Gouverneur Titus …“ Er lächelte und hieß Tajirika im engen Kreis der Berater willkommen.

13
    Eines Tages fuhr ein Motorrad am Polizeihauptquartier in Eldares vor und der Fahrer verlangte dringend, den Polizeichef zu sprechen. Sein Haar fiel ihm auf die Schultern; sein Bart reichte bis zum Knie. Seine Kleider glichen Lumpen, und der Lack auf seinem verbeulten Motorrad war abgeblättert, obwohl man bei näherem Hinsehen ahnen konnte, dass es ursprünglich rot gewesen war. Hätte er nicht seine Polizeimarke vorgewiesen, keiner hätte geglaubt, dass er Polizist war. Der Polizeichef hätte nicht eine Minute seiner Zeit an ihn verschwendet. Er reagierte auf die Verwirrung mit der Erklärung, er sei einer der fünf Motorradfahrer, die ausgesandt worden waren, den Menschen in allen Winkeln des Landes die Vorzüge des Schlangestehens zu verkünden. „Wann war das?“, fragte man ihn, und er konnte sich nicht mehr erinnern, wie lange das zurücklag oder wie lange er unterwegs gewesen war; er wusste nur, dass seine Vorgesetzten ihm befohlen hatten, nicht eher zurückzukehren, bis er seine Aufgabe erfüllt hatte. Als man den bärtigen Fahrer nach seinen vier Kollegen fragte, antwortete er, dass er nichts über ihr Schicksal wisse und dass er, wenn sie noch nicht zurückgekehrt seien, eindeutig der Sieger des Rennens sei. „Welches Rennens?“, fragte der Polizeichef. Das Rennen, die Warteschlangen zu verlängern, natürlich. Der bärtige Fahrer schien durch diese scheinbar sinnlosen Fragen irritiert, weil er wichtige Nachrichten hatte. In der Zentralregion würden die Schulkinder, dem Vorbild der Studenten folgend, Warteschlangen bilden und nicht etwa Essen in den Schulkantinen fordern, sondern zusätzliche Bücher und Lehrer und eine Ausbildung, die sie etwas über das Heimatland und seine Beziehung zur Welt lehre. „Waren das alte oder neue Warteschlangen?“ „Um die Wahrheit zu sagen“, antwortete er, „gab es zwischen den alten und den neuen keinen erkennbaren Unterschied, weil sie alle weder Anfang noch Ende hatten.“ Der Polizeichef leitete den Bericht sofort an Sikiokuu weiter, der ihn unverzüglich dem Herrscher vorlegte. Dieser nahm ihn allerdings zunächst mit einem wütenden Stirnrunzeln zur Kenntnis, als wollte er sagen: Was soll der Schwachsinn, den du mir hier vorlegst? Doch dann erinnerte sich der Herrscher, was ihm die Global Bank in New York gesagt hatte, dass nämlich in seinem Land Leute unterwegs seien, die die Vorzüge des

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