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Herr der Krähen

Herr der Krähen

Titel: Herr der Krähen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ngugi wa Thiong
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Schlangestehens predigten. Wenn er bedachte, dass dies seinen Besuch zu einem plötzlichen Ende gebracht und ihn vielleicht den Kredit für Marching to Heaven gekostet hatte, so wurde ihm jetzt auch klar, dass die Urheber dieser Volksverhetzung zu seiner Sicherheitsmannschaft gehörten. Deshalb befahl er, den Motorradfahrer vor ein Erschießungskommando zu stellen, und trug dem Informationsminister Big Ben Mambo auf, die Hinrichtung als Warnung an alle anderen Schurken in den Streitkräften im Rundfunk zu verkünden.
    Der Motorradfahrer wäre erschossen worden, hätte er nicht gefleht, nicht den Boten des Herrschers umzubringen, ohne vorher die Mitteilung zu lesen, die er, der eigenen Sicherheit halber, in seine Jacke genäht hatte. Und tatsächlich entdeckte man das Stück Papier, und als die Polizisten es auseinanderfalteten, sahen sie die Überschrift „Die Boten des Herrschers“ und, eine Zeile darunter, „Für meinen Boten in der Zentralregion“, worauf eine Anweisung an den fahrenden Reiter folgte, die Zentralregion zu bereisen und das Evangelium des Schlangestehens zu verkünden. Weiter hieß es, der Herrscher sei über alle, die dem Aufruf folgen, sehr glücklich. Am wichtigsten aber war, dass sich darunter deutlich lesbar die Unterschrift des Herrschers befand. Der Polizeichef übergab die Angelegenheit an Sikiokuu, der sich daran erinnerte, so etwas geschrieben und das Schreiben zum Herrscher gebracht zu haben. Als dieser sah, dass es seine Unterschrift trug, hob er den Befehl auf und meinte, man solle dem Motorradfahrer sagen, der Herrscher habe Gnade walten lassen. Der Fahrer solle nach Hause gehen, sich rasieren und die Haare schneiden und danach unbefristeten und unbezahlten Urlaub nehmen. Der Motorradfahrer wies inständig darauf hin, dass er den Befehl des Herrschers nach Geist und Buchstaben ausgeführt habe, was weitere Beratungsrunden auslöste, nach denen man ihm versicherte, er könne nach mehreren Monaten erforderlichen Urlaubs in den Dienst zurückkehren; man werde ihn als Straßenspezialist Kaniũrũ unterstellen für den Fall, dass es erforderlich werde, die Studenten der Zentralregion zu verfolgen.

14
    Kaniũrũ konnte sein Glück kaum fassen. Er hatte nicht gewusst, wo und wie er die Suche beginnen sollte, und jetzt das? Er hasste Studenten aus tiefem Herzen, weil ihre Radikalität ihn einer guten Frau beraubt hatte. Wenn sich Nyawĩra nicht in die studentische Politik eingemischt hätte, würde sie wahrscheinlich immer noch unter seiner schützenden Hand leben. Er brütete über den Nachrichten, die der verrückte Motorradfahrer gebracht hatte. Die Studenten hatten hinter dem Zwischenfall mit den Schlangen bei der fehlgeschlagenen Geburtstagsfeier gesteckt. Sie steckten mit Sicherheit auch hinter den Warteschlangen. Sogar der Herrscher hatte gesagt, dass Studenten und Jugendliche den Zusammenbruch schon so mancher Regierung herbeigeführt hatten. Und auf einmal sah er die Lösung, ebenso einfach wie wirkungsvoll. Man musste die Studenten unter Druck setzen, und alle Formen des Schlangestehens wären erledigt. Nur wie sollte er das bewerkstelligen? Die Studenten waren indoktriniert. Man musste allen Unsinn aus ihren Köpfen tilgen und sie stattdessen mit vorbildlichen und richtigen Ideen füttern, die den Staat stützten. Wie sollte die Regierung das anstellen?
    Kaniũrũ dachte daran, dass die Studenten, den jüngsten Berichten zufolge, forderten, als Erstes über ihr Heimatland unterrichtet zu werden. War nicht der Herrscher das Land? Kaniũrũ griff unverzüglich zu Stift und Papier und begann ein Memorandum für ein neues nationales Bildungsprogramm zu entwerfen. Jeder in Aburĩria wisse, dass der Herrscher der oberste Lehrer und Erzieher sei. Der Lehrer Nummer Eins. Also würden alle Bildungseinrichtungen, von der Grundschule bis zur Universität, verpflichtet sein, nur Ideen zu lehren, die vom obersten Lehrer und Erzieher stammten. Sie würden angehalten, die Mathematik des Herrschers anzubieten, die Naturwissenschaften des Herrschers (Biologie, Physik, Chemie), die Philosophie des Herrschers und die Geschichte des Herrschers; und damit würde in jedem Fall ihrer Forderung Rechnung getragen, als Erstes ihre Heimat kennenzulernen. Allerdings wollten die Studenten auch unterrichtet werden, in welcher Beziehung ihre Heimat zu anderen Regionen der Welt stand. Auch das war einfach! Man würde sie die Geographie und Demographie aller Länder lehren, die der Herrscher besucht hatte oder

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