Herr der Krähen
Darstellungen, in denen sich das Chaos der Ereignisse im Land spiegelte. Warteschlangen, die sich aus unterschiedlichsten Gründen in den einzelnen Landesteilen gebildet hatten, sammelten sich vor dem Parlamentsgebäude und dem Obersten Gericht. Je größer die Menge wurde, desto mehr sah sich der Herrscher in seinen Handlungsmöglichkeiten eingeschränkt.
Weil Kaniũrũs patriotische Horden am Flughafen ausländische Journalisten verprügelt und damit Proteste der westlichen Botschaften ausgelöst hatte, verordnete der Herrscher der Polizei, den paramilitärischen Einheiten und sogar Kaniũrũs Leuten Vorsicht, äußerste Vorsicht gegenüber ausländischen Kameras. Wenn sie unbedingt ein paar Schädel einschlagen mussten, dann sollten sie das auf dem Land und in den Kleinstädten tun. Nicht, dass er über diejenigen verärgert war, die seinen Aufruf zur Selbstbeherrschung missachtet und außerdem denen ein paar Knochen gebrochen hatten, die andere anstifteten, zur sogenannten Volksversammlung zu gehen. Er wollte jedoch nicht, dass sie etwas unternahmen, das den Eindruck vermitteln könnte, er fürchte sich vor einer friedlichen Versammlung. Obwohl er vor Mordlust schäumte, hielt er seine Gefühle im Zaum und ließ seine Schlägertrupps nicht auf die Dissidenten los. Er hoffte, dass die Leute des Redenschwingens überdrüssig wurden und hungrig und durstig nach Hause gingen.
Doch das trat nicht ein. Viele hatten Essen dabei. Die Besitzer kleiner Restaurants und Kioske lieferten Imbisse und einige matatus brachten Nahrungsmittel von der Landbevölkerung. Dadurch wuchs die Versammlung an Zahl, Selbstvertrauen und Mut. Als die Polizei anfangs versuchte, einen Lautsprecher von einer provisorischen Bühne zu entfernen, hatten die Leute protestierend aufgeschrien, mit Chaos gedroht und die Polizei so gezwungen, ihn stehen zu lassen.
Bald entwickelte sich ein festes Muster, nach dem die tägliche Versammlung ablief. Religiöse Führer eröffneten mit Gebeten, die oft zum Thema hatten, dass Gott Satan überwand, damit in Aburĩria Frieden und Wohlstand herrschen könnten. Auf die Gebete folgten Hymnen, dann predigten die Geistlichen und hielten sich dabei streng an ihre heiligen Schriften. Anschließend konnte jeder sprechen, der wollte. Dem Herrscher gefiel das überhaupt nicht und nur die Aussicht auf das Geld von der Global Bank hielt ihn zurück.
Ein paar Tage war das Geheimnis um Machokalis Verschwinden das einigende Thema. Wenn selbst der Minister für Auswärtige Angelegenheiten verschwinden konnte, noch dazu jemand, der in der ganzen Welt bekannt war, ohne dass irgendwer dafür zur Verantwortung gezogen wurde, wer konnte dann noch von sich behaupten, in der Republik Aburĩria sicher zu sein? Wir wollen die Wahrheit wissen! Wir wollen die Wahrheit wissen! Dieser Schrei erhob sich immer wieder. Einige schlugen sogar vor, zum State House zu ziehen und ihn dort zu suchen, sollte die Wahrheit über den verschwundenen Minister nicht ans Tageslicht kommen. Sollen sie sich doch heiser reden, sagte sich der Herrscher zähneknirschend, aber wehe denen, die es wagen, hier aufzutauchen. Er dachte daran, Kaniũrũs Schlägertrupps auszuschicken, damit sie einen Marsch zum State House provozierten, besann sich aber eines Besseren, weil er nicht glaubte, dass sich die Bilder eines solchen Marsches auf den Fernsehbildschirmen der Welt gut machen würden. So kam es zu einer Pattsituation, bei der beide Seiten auf den nächsten Schritt der jeweils anderen warteten, sich argwöhnisch beobachteten und lediglich mit Worten bedrohten.
In dieser Situation statteten der amerikanische und der französische Botschafter dem State House einen zweiten Besuch ab. Wie immer kam Botschafter Gemstone ohne Umschweife zur Sache; er ließ den Herrscher wissen, dass er die Position der wichtigsten westlichen Demokratien vertrete und deshalb von Monsieur Jean-Pierre Sartre begleitet werde, den man nicht mit dem existentialistischen Philosophen gleichen Namens verwechseln sollte, wie er scherzte, während Monsieur Sartre zustimmend nickte. Der Westen habe eine Menge in die Zukunft Aburĩrias investiert und sei deshalb natürlich über Entwicklungen besorgt, die seine Interessen gefährdeten. Der Herrscher solle unverzüglich friedliche Maßnahmen einleiten, um die Unruhen im Land zu beenden.
Wütend erhob der Herrscher die Stimme. Er habe die Arroganz des Westens satt. Er sei der Vorträge müde, was er in seinem Haus zu tun und zu lassen habe. Er
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