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Herr der Krähen

Herr der Krähen

Titel: Herr der Krähen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ngugi wa Thiong
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verbergen hätten. Kaum hatte er das Wort „verblichenen“ ausgesprochen, wurde Big Ben Mambo klar, was für einen Fehltritt er sich geleistet hatte, doch er entschied, sich nicht zu korrigieren, um nicht noch mehr Aufmerksamkeit darauf zu lenken. Er sprach weiter.
    Die Leute trauten ihren Ohren nicht. Wie konnte der Herrscher einen Minister entlassen, der so viele Jahre seine rechte Hand gewesen war? Sie pfiffen ungläubig, als sie hörten, dass die Polizei in den Büros des Staatsministers eine Razzia gemacht und alle Akten zu späterer Prüfung sichergestellt hatte und dass außerdem Minister Sikiokuu verhaftet worden war, der jetzt für Machokalis Verschwinden zur Verantwortung gezogen werden sollte. Mambo erwähnte die ewige Rivalität zwischen Machokali und Sikiokuu, die bis in die Zeit zurückreichte, als Machokali sich zur Vergrößerung seiner Augen für London entschied und Sikiokuu zur chirurgischen Vergrößerung seiner Ohren nach Paris gereist war. Mambo sprach frei und fügte hinzu, beide hätten Stellvertreterkriege für die Briten und die Franzosen geführt. Es sei eine allseits bekannte Tatsache, dass diese zwei Nationen, England und Frankreich, seit den Tagen Napoleons und Nelsons immer um die Vormacht in Europa gekämpft hätten. Deshalb habe er, Mambo, sich geweigert, in ihre fehlgeleiteten Fußstapfen zu treten, und sei nach Deutschland gereist, um sich dort die Zunge anpassen zu lassen, die er jetzt als Stimme des Oberkommandierenden gut zum Einsatz brachte. Nun kehrte Mambo zum vorbereiteten Text zurück und gab zu verstehen, dass Sikiokuu in eine gefährliche Intrige verwickelt gewesen sei, die Zweifel an der Regierung verbreitete. Nur warum? Nun, Taten sprächen deutlicher als Worte.
    Unter den Gegenständen im Büro des Ministers habe sich auch ein Anzug befunden, der denen, die der Herrscher gewöhnlich trage, mehr oder weniger aufs Haar gleiche, einschließlich des Besatzes aus Löwenfell, der vom Gesetz her nur dem Herrscher zustehe. Sikiokuu habe sogar den Thron kopiert, auf dem der Herrscher während der Kabinettssitzungen Platz nehme. Trotzdem beschwor Big Ben Mambo die Versammlung, keine voreiligen Schlüsse zu ziehen, bevor der Untersuchungsausschuss die Arbeit abgeschlossen habe.
    Das heiße allerdings nicht, dass die Leute darüber schweigen sollten, und jeder, der Informationen über das Verschwinden des geliebten Landessohnes oder Sikiokuus religiöse Sekte besitze, werde Gelegenheit bekommen, vor dem Untersuchungsausschuss mündlich oder schriftlich Zeugnis abzulegen.
    Dann befahl er im Namen des Oberkommandierenden der aburĩrischen Streitkräfte allen Panzern, die Straßen zu räumen. Er bat die Menge, nun, da die Regierung sich ihren wesentlichen Anliegen gestellt habe, friedlich auseinanderzugehen.
    Doch selbst, als die Panzer sich in Seitenstraßen zurückzogen, gingen die Menschen nicht auseinander; sie verstärkten ihre Gesänge und Gebete und riefen: „Wir wollen unsere Stimme zurück!“

2
    Die beiden Hauptpfeiler seiner Macht, das Militär und der Westen, waren beträchtlich ins Wanken geraten. Der Herrscher musste einen Weg finden, sie wieder zu festigen, und wollte beiden zeigen, dass seine Macht nicht ausschließlich von ihnen abhing. Und welch besseren Weg konnte es dafür geben, als die aufsässige Menge ohne die Hilfe des zögerlichen Militärs auseinanderzutreiben? Aber wen außer Armee und Polizei konnte er dazu einsetzen?
    Der Herrscher wusste, dass er keinem Minister seines Kabinetts mehr trauen konnte. Er hatte Berichte erhalten, wonach einige Minister wie schon die Armeeoffiziere, möglicherweise dem Vorbild des in Ungnade gefallenen Sikiokuu folgend, unlängst gesehen worden waren, wie sie sich bei westlichen Botschaften einschmeichelten. Gemstones Bemerkung, dass er ziemlich genau wisse, was im Kabinett vor sich gehe, ließ ihn vermuten, dass einige Minister bezahlte Spitzel waren. Um die Pläne der Informanten zu durchkreuzen, hatte er beschlossen, keine Kabinettssitzungen mehr abzuhalten. Jetzt, da Machokali und Sikiokuu nicht mehr da waren, erkannte der Herrscher, wie sehr er in Krisenzeiten von ihnen abhängig gewesen war. Nicht, dass er sie vermisste, denn schließlich hatte er sie durch Tajirika und Kaniũrũ ersetzt, bei denen er sicher sein konnte, dass sie ihm nach dem Mund redeten. Aber auch sie spielte er gegeneinander aus. Oft traf sich der Herrscher nur mit einem von beiden. Es gab Dinge, die zwischen ihm und Kaniũrũ blieben und andere,

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