Herr der Krähen
folgen und keine Fragen zu stellen. So kam es, dass sie in den See der Tränen geriet.
Dies flüsterte Gacirũ eines Tages als Erklärung ihrer Flucht Maritha und Mariko in der Kirche zu, und die sagten es flüsternd Nyawĩra weiter, die es ihrerseits Kamĩtĩ erzählte.
„Ein ewiger Clown“, stellte Nyawĩra fest.
„Ein Mann, der sich ständig wandelt“, meinte Kamĩtĩ.
4
Baby D’s Aburĩria steckte voller Ironien, die tagtäglich Anlass für Tränen oder Lachen boten. So wurde einmal das Volk informiert, sich wegen der offiziellen Feierlichkeiten zum Geburtstag des Herrschers ein Extrageschenk abholen zu können. Sie sollten sich am Morgen in der nächstgelegenen Buchhandlung das Geschenk des Herrschers abholen und sich dann am Nachmittag in das Ruler’s Stadium begeben, um eine Art Geburtstag von Baby D zu feiern. Aber warum ein Buch? Jeder wusste, wie sehr der Herrscher Bücher und Schriftsteller verabscheute, die nicht ein Loblied auf ihn sangen.
Die Neugier trieb Kamĩtĩ und Nyawĩra in einen Buchladen, und dort entdeckten sie riesige Stapel eines druckfrischen Werkes mit dem Titel: „Die Geburt von Baby D: Der Herrscher und die Wandlung eines afrikanischen Staatsmannes. Eine objektive Biographie“, geschrieben von Henry Morton Stanley, einem weißen Engländer.
Im Buch wurden alle Übel, die Aburĩria während seiner Herrschaft befallen hatten – wie Rachaels Verschwinden und die gescheiterten Putschversuche eines Markus Machokali oder eines Big Ben Mambo –, dem Herrn der Krähen und der Hinkenden Hexe angelastet, weshalb der Staat die bereits toten Hexenmeister zu einem zweiten Tod verurteilt und ihre Abbilder verbrannt hatte, um sicherzustellen, dass sie sogar in der Hölle mehr litten als andere.
„Unser Tod wird in einem Buch bestätigt“, bemerkte Nyawĩra. „Wenn du jemals den Namen Herr der Krähen hörst, darfst du weder durch einen Blick noch durch eine Geste darauf reagieren.“
„Das trifft auch auf die Hinkende Hexe zu“, meinte Kamĩtĩ. „Vielleicht ist es das, was Vinjinia uns sagen wollte. Wir sollen diese Namen sterben lassen.“
Sie sahen einander an und waren traurig, dass der Herr der Krähen und die Hinkende Hexe nicht mehr sein würden.
5
Es geschah kurze Zeit später, dass in allen Städten und Dörfern Flugblätter auftauchten, die das Symbol einer Viper und eines zweimäuligen Ungeheuers trugen, mit der Parole: LASST NICHT ZU, DASS SIE UNSERE ZUKUNFT ZERSTÖREN. Das war die erste offene und massive Bedrohung für Baby D. Jedem Aufruhr in der Zeit des Herrscherregimes waren – wie bei der Schmach von Eldares – Flugblätter vorausgegangen.
Der Herrscher rief seinen vertrauenswürdigsten Berater, den Verteidigungsminister Tajirika, zu sich. Der war gerade von einer weiteren Reise nach Washington zurückgekehrt, wo er Gespräche über ein Abkommen zu gemeinsamen Militärübungen in Aburĩria geführt hatte. Die Verhandlungen berührten eine Reihe anderer Fragen wie die Verpachtung von Küstenland für amerikanische Militärbasen, und er ging mit dem Gefühl aus ihnen hervor, nicht nur als Verteidigungsminister des Herrschers Anerkennung zu genießen, sondern auch als eigenständiger Kopf. Er wurde sogar vom Botschafter im Ruhestand Gabriel Gemstone zu einem privaten Abendessen eingeladen, bei dem Größen aus der Geschäftswelt anwesend waren, unter anderem auch Waffenproduzenten. Das Abendessen war so geheim, dass nicht einmal seine Leibwächter davon wussten. In den Gesprächen wusste Tajirika zu betonen, wie nahe er seinem Freund, dem verstorbenen Machokali, gestanden habe – tatsächlich sei er dessen Protegé gewesen –, was in Washington gut anzukommen schien und ihn ermutigte, in London dasselbe zu behaupten.
„Wie verstehst du das alles?“, fragte der Herrscher.
„Das ist der Fluch des Herrn der Krähen.“
„Aus dem Grab heraus?“
„Ja – die Rache der Dämonen.“
„Aber wir haben doch ihre Bildnisse verbrannt.“
„Nyawĩras Dämon muss sich mit seinem vereinigt haben“, fügte Tajirika hinzu, dem immer missfallen hatte, dass Kaniũrũ alle Lorbeeren für die Beseitigung des Hexenmeisters geerntet hatte.
„Männliche und weibliche Dämonen, die zusammenarbeiten?“, fragte der Herrscher. „Und eine neue Welle zwecklosen Widerstands gebären?“, fügte er hinzu.
„Weibliche Dämonen sind unberechenbar.“
Tajirika zögerte, weil ihm einfiel, dass Vinjinia ihm am Morgen gesagt hatte, sie wolle von der Leitung der
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