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Herr der Krähen

Herr der Krähen

Titel: Herr der Krähen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ngugi wa Thiong
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Weltordnung. Mit der Privatisierung Aburĩrias und den NGO s, die uns unsere sozialen Verpflichtungen abnehmen, wird das Land zu Ihrem Eigentum. Sie werden zusätzlich zur Provisionszahlung für die Leitung der korporonialen Armee und Polizei die Landmiete einnehmen. Die korporonialen Mächte werden Sie als modernen Visionär feiern. Und Sie werden ironischerweise die Genugtuung haben, sich – so wie Gabriel Gemstone Ihnen Ihr geistiges Eigentum gestohlen hat – den intellektuellen Besitz des vereinigten Westens angeeignet zu haben.“
    „Wie du mir, so ich dir. Sie klauen bei uns und wir bei ihnen. Deswegen habe ich immer behauptet, dass du ein Gauner bist“, sagte der Herrscher und lachte, als hätte er Tajirika gerade ein Kompliment gemacht. „Ein treuer Gauner“, fügte er hinzu.
    In der Tat fühlte sich der Herrscher mit Tajirika als Berater wohl. Der Verteidigungsminister hatte den gesunden Menschenverstand und Realismus eines Gauners, weshalb sein Rat fast immer auf den Punkt traf. Dennoch war er ein feiger Gauner, der von Frauen verprügelt worden war, niemals Vergeltung geübt hatte und deshalb war er auf der sicheren Seite. Wenn der nicht so einen feigen Charakter hätte, wäre er sehr gefährlich, dachte der Herrscher.
    „Was die Sache mit dem Korporonialismus angeht, warum kann ich nicht derjenige sein, der inkorporiert, statt inkorporiert zu werden?“, fuhr der Herrscher fort. „Ich will doch nicht Angestellter einer Firma sein“, fügte er hinzu und lachte laut über seinen Scherz. „Ich hoffe, du hast in Washington keine Versprechen gemacht.“
    „Oh, nein, nein!“, erwiderte Tajirika erschrocken.
    „Ich bin hier ihr einziger Fixstern, und den werden sie so nehmen müssen, wie er ist.“
    „Und der Westen möchte nicht mit seinem Fixstern verblassen“, sagte Tajirika und beide lachten über Tajirikas Witz.
    „Aber jetzt haben wir beide erst einmal zu tun“, sprach der Herrscher. „Wir müssen die Wirkung dieser Flugblätter neutralisieren und den drohenden Warteschlangen zuvorkommen, bevor sie erneut zu einer Plage werden.“
    „Ja, wir tragen den Kampf in die Unterwelt. Versetzen die Geister von Nyawĩra und dem Herrn der Krähen in Angst und Schrecken und zerstreuen sie in alle Winde“, sagte Tajirika.

6
    Wenige Tage vor einer weiteren Feier zum Geburtstag des Herrschers und zu dem von Baby D kamen vier Erscheinungen, von Kopf bis Fuß von langem, silbrigem Haar und Bärten verhüllt, aus vier unterschiedlichen Richtungen im Hauptquartier der Polizei in Eldares an und brachen vor dem Eingang zusammen. Die erschrockenen Polizisten trugen die mutmaßlichen Leichname hinein. Bevor sie jedoch entschieden hatten, was sie tun sollten, hörten sie die vier Wesen flüstern. Sie verstanden nur „Norden“ bei dem einen, „Süden“ beim nächsten, „Osten“ beim dritten und „Westen“ beim vierten, doch schien das die vier Erscheinungen so sehr anzustrengen, dass sie ohnmächtig wurden.
    Als sie endlich wieder zu sich kamen, wiesen sie sich als die vier Motorradfahrer aus, die man in alle vier Himmelsrichtungen ausgeschickt hatte, um dem Volk die Glückseligkeit des Schlangenbildens und die Freude zu verkünden, die die Warteschlangen dem Herrscher bereiteten. Ja, sie hatten das Evangelium des Schlangestehens gepredigt, die Seligpreisung lautete: „Selig sind die Warteschlangen, denn sie werden vom dankbaren Herrscher reichlichen Lohn erhalten.“
    „Motorradfahrer ohne Motorräder?“, fragte ein Polizist skeptisch.
    „Unsere Motorräder sind schon lange nicht mehr.“
    „Ihr seid von Kopf bis Fuß mit Bart und Haar bedeckt, wollt ihr etwa das alte Bartgesetz missachten?“
    „Wir hatten nicht die nötigen Mittel, um uns Rasierklingen und Seife zu kaufen.“
    „Und warum habt ihr sie nicht verhüllt?“
    „Unsere Kleider sind schon lange nicht mehr“, flüsterten die Erscheinungen.
    Doch jeder von ihnen hatte seine Schulterklappe mit der Dienstnummer aufgehoben, und alle vier umklammerten die Nummernschilder ihrer Motorräder. Als die verhörenden Beamten in den Akten nachsahen, fanden sie die Bestätigung, dass solche Männer einst tatsächlich existiert hatten, doch die Akten waren längst geschlossen und mit dem Vermerk versehen worden: VERSCHOLLEN UND VERMUTLICH TOT.
    Die Motorradfahrer schienen einander nicht zu kennen. Seit sie zu ihrer Mission aufgebrochen waren, hatten sie sich nicht mehr gesehen, aber ihre Berichte waren fast identisch. Sie erzählten bewegende

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