Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Herr der Krähen

Herr der Krähen

Titel: Herr der Krähen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ngugi wa Thiong
Vom Netzwerk:
Geschichten über Menschen selbst in den entlegensten Winkeln der Erde, die Schlangen bildeten und Veränderungen forderten. Nach Jahren der Mühsal seien sie überglücklich, berichten zu können, dass die Menschen Aburĩrias mit dem Rest der Welt auf Augenhöhe stünden; und dass sich im Norden, Süden, Osten und Westen, ja sogar in den entferntesten Dörfern und Städten Schlangen bilden, langsam auf die Hauptstadt zumarschieren und das Ende der Ursachen aller Klagen der Besitzlosen herbeisingen würden. „Sie verlangen eine saubere Umwelt, damit die Leute saubere Luft atmen, sauberes Wasser trinken und sauberen Raum zum Leben und Entfalten bekommen. Sie lehnen die Herrschaft von Viper und Ungeheuer ab. Ihre Lieder enden mit einem Refrain, der auch in anderen Erdteilen gesungen wird: Lasst nicht zu, dass sie unsere Zukunft zerstören.“
    „Diese unverbesserlichen Lügner sollte man der Fahnenflucht und des Hochverrats anklagen, weil sie die Bevölkerung anstacheln, Schlangen zu bilden und auf die Hauptstadt zuzumarschieren“, sagte der Polizeichef, wütend darüber, dass diese vier dem Ansehen der aburĩrischen Polizei in der Welt geschadet hatten.
    Als sie ihm aber Briefe zeigten, die sie sorgfältig in die Schulterklappen eingenäht hatten, Briefe mit dem Auftrag des Herrschers und seiner Unterschrift, fiel ihm eine frühere Geschichte wieder ein, über einen Motorradfahrer, der in der Zentralregion unterwegs gewesen war. Das verlangt nach einer Entscheidung von oben, sagte er sich und schickte einen dringenden Bericht ins State House. Der Herrscher überlegte laut: „Oh, nein, diese Deserteure tun das nur, weil sie gehört haben, dass ich dem Fahrer aus der Zentralregion vergeben habe. Das war das falsche Signal. Ich muss allen beweisen, welches Schicksal diejenigen erwartet, die meine Verfügung missachten, dass Staatsbedienstete weder Bart noch lange Haare tragen dürfen. Die Fahrer sollen vor einem Sondergericht des Hochverrats angeklagt werden, und wenn es ans Aufknüpfen geht, soll statt eines Sisalseils eine Schlinge aus ihren Haaren und Bärten verwendet werden. Was meinst du?“, wandte sich der Herrscher an seinen Verteidigungsminister und vertrauten Ratgeber Titus Tajirika.
    Dem hatte die ganze Heldengeschichte die Sprache verschlagen. Das Wunder, dass die Erscheinungen von der obersten Gottheit von Kopf bis Fuß in natürliche Kleidung gehüllt worden waren, hatte sich in seine Phantasie gegraben: Ein plötzlicher weißer Lichtstrahl, der unbeschreibliche Möglichkeiten erhellte. War das die Art und Weise, wie Propheten und Seher zu neuen Gedanken gelangten? Wie der Herr der Krähen zu seinen Visionen des Verborgenen kam?
    Er spürte eine Kraft in sich, die seine Angst vor dem Herrscher vertrieb, zumindest was die geisterhaften Fahrer betraf. Er war sich nicht einmal bewusst, wie ihm die Worte in den Sinn kamen.
    „Göttermasken“, murmelte Tajirika schließlich. „Wahrlich, Gott wirkt auf geheimnisvolle Weise.“
    „Was redest du da?“, fragte der Herrscher, aus seinen Gedanken gerissen.
    „Die Motorradfahrer. Ihre Erscheinung, Haare vom Kopf bis zu den Füßen. Natürliche Masken. Boten der obersten Gottheit. Bärtige Geister.“
    „Hast du ‚bärtige Geister‘ gesagt?“
    „Es ist offensichtlich, dass dies keine gewöhnlichen Wesen sind, mein Herr und Gebieter!“
    „Sofort hinrichten, sofort“, schrie der Herrscher seltsam erregt.
    „Bevor man sie hinrichtet, zeigen Sie sie so, wie sie sind, im nationalen Fernsehen, um der Nation klarzumachen, dass das Geister sind, die Gott ausgeschickt hat, der Bevölkerung zu sagen, dass sie nicht auf die Lügen einer neuen Generation von Tagträumern hereinfallen soll, die lautstark ein neues Morgen fordern. Nach Ihnen, Eure Vortrefflichkeit, gibt es kein Morgen.“
    Welch brillante Erkenntnis, dachte der Herrscher, schon etwas ruhiger, weil er plötzlich den Weg sah, auf dem er die Orakel überlisten und allen Bedrohungen der Unsterblichkeit seiner Herrschaft ein Ende bereiten konnte! Die Aburĩrier waren tief religiös. Sogar Straßenfeger gründeten ihre eigene Sekten und gewannen Anhänger! Wenn sie also mitbekommen, dass die Motorradfahrer Abgesandte Gottes sind, werden die Leute alles, was diese sagen, als direkten Befehl von oben verstehen. Und wenn sie das himmlische Gebot nicht befolgen, wird sie der Zorn Gottes mit gnadenloser Wucht treffen.
    Die Worte, dass es nach ihm kein Morgen gebe, schwirrten weiter in seinem Kopf herum. Er

Weitere Kostenlose Bücher