Herr der Moore
Verkörperung sündhafter Häme.
Mrs. Fletcher drückte ab, woraufhin es sich überlegen gackernd zur Seite warf. Die Kugel sauste vorbei, und es kletterte an der Wand gegenüber des Bettes hoch. Das Fenster brach aus dem Rahmen, was in dem kleinen Raum ohrenbetäubend laut klirrte; mit etwas Verzögerung hörten sie die Scherben auf den Hof fallen. »Raus hier!«, rief Mrs. Fletcher, während sie rasch nachlud. Angstschweiß und Pulverrauch lagen schwer in der Luft. Tabitha ächzte und versuchte, den stechenden Schmerz zwischen ihren Rippen zu verdrängen, als sie sich aufraffte. Das Monster bereitete sich auf einen weiteren Ansturm vor.
Tabitha lief los.
Der schwelende Schatten brüllte und stieß sich von der Wand ab.
Mrs. Fletcher fluchte, klappte das Gewehr zu und wirbelte herum, währenddessen sie es hochhob. Es war ein verzweifelter Versuch, die Kreatur im Sturz auf das weinende Mädchen anzuvisieren.
Tabitha hielt die Hände über ihren Kopf, während sie das Zimmer durchquerte. Nicht mehr weit, und sie erreichte die Tagelöhnerin, die mit der Waffe im Anschlag ausharrte.
Es knallte und schmatzte sogleich, als die Kugel in die dicke Haut schlug. Tabitha schaute hoch, just als das Ding nach links schnappte und die Mauer noch im Flug rammte. Sie hievte sich unter panischem Quengeln aus dem Weg, war aber nicht schnell genug. Das Biest krachte zu Boden und begrub dabei ihre Füße unter sich. Sie kreischte und krallte sich mit den Fingernägeln an die Bohlen, während es über ihr um sich schlug. Blut spritzte aus einem münzgroßen Loch in seinem Rücken. Geifer klebte an seinen mahlenden Kiefern, und die schwarze Zunge schnellte heraus, als wolle es den Boden ablecken.
»Hilfe!« Tabitha hämmerte mit den Fäusten auf den Boden und trat aus, um sich das widerliche Etwas, das sie gebannt hatte, vom Leib zu schaffen. Feuchte, harte Schuppen schürften ihre Haut auf. »Schnell«, flehte sie. Wie lange mochte es sich von seiner eigenen Pein aufhalten lassen? Bald würde es merken, dass sein Opfer wehrlos unter ihm lag; dann bekam ihr Fleisch seine Krallen zu spüren. Plötzlich fiel ihr ein, was ihr Bruder gesagt hatte: Er hat mir das angetan … kratzte mich.
Mrs. Fletcher steckte flink eine weitere Patrone in die Kammer und eilte zu ihr. Sollte sie zuerst schießen oder das Mädchen befreien? Zu Tabithas Erleichterung entschied sie sich für Letzteres und streckte ihre rechte Hand aus, während sie die Waffe fest in der linken hielt. »Pack zu«, forderte sie mit rotem Gesicht, und Tabitha hob den Arm.
Ihre Finger berührten sich, und das Mädchen stöhnte wütend. »Dichter. Ich … kann nicht … schnell!« Natürlich musste die Haushälterin Abstand vor dem Untier wahren, doch ihr Zaudern verärgerte Tabitha, die sich bereits von Phantomklauen zerfetzt wähnte.
Mrs. Fletcher machte sich länger, da glitt Tabithas Hand in ihre. Sie zerrte heftig daran, und schon war das Mädchen frei. Ihre Freude währte nicht lange, verwandelte sich binnen Kurzem in Konfusion und schlussendlich Entsetzen: So kräftig hatte Mrs. Fletcher nicht gezogen, als dass es so rasch gelungen wäre, was bedeutete …
Das Geschöpf hatte sich bewegt.
Die Frau ließ los und schob sich zurück, während sie an der Waffe fummelte und den Blick an die Wand richtete, wo ein dunkler Blutfleck zurückgeblieben war.
»Jetzt gilt es«, sprach sie leise. »Lauf, solange die Tür frei ist.«
»Was wird aus Ihnen?«
»Lauf einfach!«
Das ließ sich Tabitha nicht zweimal sagen. Während sie sich auf den Knien umdrehte, war sie sich des aufgequollenen Schattens über ihr sehr deutlich bewusst. Schon standen ihre Füße fest auf dem Boden, und sie stützte sich noch mit einer Hand ab, um das Gleichgewicht wiederzuerlangen.
Hinter ihr klickte es, als Mrs. Fletcher den Hahn zurückzog.
»Jetzt!«, rief sie, und Tabitha rannte los.
Das Gewehr knallte, der Dämon fauchte erneut, und wieder spritzte Blut.
Tabitha lief über die Schwelle, und in die Stille nach dem Schuss brach Mrs. Fletchers zittriges Stöhnen.
29
»Hör gut zu«, sagte sie dem Mädchen. »Ich will, dass du das Haus verlässt und dich in Sicherheit bringst, auch wenn ich weiß Gott nicht sagen kann, ob das heute Nacht in Brent Prior möglich ist. Bleib dem Sumpf fern, sperr dich irgendwo ein, bis der Morgen graut. Auf jetzt!«
Tabitha gehorchte und war im Nu die Treppe hinuntergelaufen. Mrs. Fletcher wartete – das erlegte sie sich selbst auf –, bis die Haustür
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