Herr der Moore
umstimmen, dass er sich entschieden gegen seinen Freund wandte.
Gradys Kugel hatte den Liegenden im Gras gesichtslos gemacht. Blieb also nur noch Neil, der nicht so recht zu dieser Todesschwadron passen wollte, da sein Lächeln allein keinen Argwohn bereit heilt. Trotzdem besorgte Grady die Miene des Jungen, denn obwohl er nicht so verwahrlost aussah wie die Übrigen, schien ihn ihr Aufeinandertreffen nicht im Geringsten zu beeindrucken.
Kate machte sich im Griff des Hausdieners aus wie eine niedergedrückte Sprungfeder kurz vor dem Loslassen. Er hatte Verständnis für ihre Ungeduld, wollte sie allerdings weiter festhalten, denn diese Zusammenkunft erfolgte eindeutig mit Kalkül. Bis er nicht wusste, worum es sich drehte, durfte sie nicht von ihm weichen.
»Der Mann, den Sie getötet haben, heißt Arnold Williams«, gab ihr Anführer an und fasste sich ins Gesicht. Dann fing er an, seine Verbände mit übertriebenen Armbewegungen aufzuwickeln. »Sie erinnern sich an ihn, nicht wahr?«
Das tat Grady wirklich. Williams war einmal Dorfpfarrer gewesen und leider zu gern abends im Moor spazieren gegangen. Seit acht Monaten hatte ihn niemand mehr gesehen. Eindrücke dieses gutherzigen Mannes – er war in seinen Achtzigern gewesen – sowie der ausschweifenden und oftmals humorvollen Trinksprüche bei Hochzeitsfeiern und sonntäglichen Picknicks drängten sich wieder auf, doch Grady schob sie zurück. Woran er allerdings stattdessen dachte, war nicht angenehmer: Sie werden uns töten, wir sollten verschwinden, ich muss Kate retten, sie fassen … und schon nach zwei Schritten, … denk nach, warum passiert das, was haben sie Neil angetan, streng deine grauen Zellen an, verdammt!
Er schaute von Neil, der nicht reagierte, hinüber zu dem Verbundenen, der immer noch damit beschäftigt war, sich der schimmlig wirkenden Streifen zu entledigen.
»Einige dieser Männer starben«, sagte er kaum lauter als ein Wispern.
»Nicht ganz«, widersprach der Fremde. »Sie waren dem Tod nahe, richtig, doch ein Kratzer, ein Biss oder die Aufnahme eines Speicheltropfens genügt, um dies zu verhindern. Sie erhielten eine zweite Chance zu leben.«
»Und besser als zuvor«, fügte Campbell freudig hinzu.
»Reverend Williams würde dies gewiss anders sehen«, bemerkte Grady.
Der Mann kicherte. »Williams war seiner theologischen Weisheit zum Trotz in spiritueller Hinsicht nicht annähernd so rein, wie Sie vermuten. Er war in beiden Leben eine Zumutung, und wir kommen trefflich ohne den Schandfleck aus, den er für unsere Art bedeutete.«
»Weshalb tun Sie das?«, fragte Grady ihn.
»Weil ich will«, entgegnete der Mann schlicht, »und weil ich es mir nicht anders vorstellen kann. Wir sind die überlegene Spezies, Grady, und unsere Herrschaft beginnt hier in diesem Niemandsland. Es wird unser Hort sein. Ein Nest, von dem wir unsere Fangarme ausstrecken und die Massen umwandeln.«
»In was?«
»In Überwesen, wie wir es sind. Ich erwarte nicht, dass Sie es verstehen, denn auch mir gab es anfänglich Rätsel auf. Es ist, als mache man jemandem weis, der Himmel sei schwarz statt blau, und die Sonne silbern statt gülden. Solange Sie nicht selbst in dieser Haut stecken, ist es unmöglich, die Beschaffenheit dieser Welt nachzuvollziehen. Meine Gefährten …«, er verwies auf die Umstehenden, »… begehrten zunächst dagegen auf, doch dann sahen sie alles mit eigenen Augen; jetzt können Sie es sich nicht mehr anders vorstellen. Der Wandel bedeutet Macht. Die erbärmlichen Wehen, Schwächen und Sorgen, welche das Leben der Menschen korrumpieren, sind uns fremd. Für meinesgleichen ist der Alltag niemals mit schnöden Makeln verbunden. Wir stehen an der Spitze; wir herrschen. Alle anderen sind unsere Opfer.«
Grady spürte, wie angespannt Kate war, und wusste, sie würde sofort kämpfen, auch gegen diese Überzahl. Durch die fiebrige Dunkelheit rieselte ein wenig Bewunderung ob ihres Mutes auf ihn herab, als strebe er zum Lichte hin. Der Diener besann sich auf seine Pflicht, sie zu beschützen und dafür zu sorgen, dass sie gemeinsam mit Neil unverletzt nach Hause zurückkehrte. Gleichzeitig verzehrte ihn die Gegenwart dieser Kreaturen, Schemen, Dämonen oder was auch immer sie waren; er war hundemüde, wollte sich einfach nur niederlegen und nichts mehr mit diesem Chaos zu tun haben. Leider konnte er dies nicht, und Kates Aufbegehren fachte seinen versiegenden Wunsch, Nägel mit Köpfen zu machen, zumindest ein wenig an.
Wir dürfen
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