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Herr der Moore

Herr der Moore

Titel: Herr der Moore Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kealan Patrick Burke
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tanzen.« Sie streckte einen Arm aus und streichelte seine Wange. Der Bart kratzte an ihren Fingern; seine Haut war kalt. »Ich wünschte, du könntest dort sein, um uns zu sehen. Es ist schon so lange her, dass wir gemeinsam getanzt haben. Ich weiß, dir würde das gefallen.«
    Sie ließ die Hand nach unten gleiten und rieb mit dem Daumen über seine kalten Lippen.
    Draußen krächzte ein Rabe. Sein Schatten huschte über die Bettlaken; dann flog er weiter.
    »Dieser Scharlatan Campbell glaubt nicht, dass du den Bann, der auf dir liegt, jemals brechen wirst, aber er ist einfach dumm. Das weißt du auch, nicht wahr? Jedenfalls erinnere ich mich daran, dass du so etwas in der Art einmal gesagt hast.« Sie lächelte. »Ja, du meintest, er sei bloß ein Herumtreiber, der sich als Mediziner verkleidet habe, um den Respekt einzufordern, von dem er glaubt, er stehe ihm zu. Ich bin deiner Meinung. Als er dich am Samstag untersuchte, stank er nach Whiskey und Zigaretten. Welcher Arzt, der etwas auf sich hält, taucht leidlich nüchtern im Haus eines Erkrankten auf? Neil behauptet auch, der Kerl könne kein Rasierwasser auftragen, weil es sich seines extremen Geruchs wegen sofort verflüchtigen würde.« Nun lachte sie, aber in dem leeren Zimmer klang es so verloren, dass ihr fast die Tränen kamen.
    »Wieso wachst du nicht einfach auf?« Sie fuhr mit der Hand hinab auf seine Brust, wo ihr ein schwacher Herzschlag versicherte, dass er noch lebte. Dann beugte sie sich über ihn, sodass ihr Haar auf ihre Finger fiel. »Er denkt, du stirbst«, fuhr sie flüsternd fort, wobei sich ihre Stimme fast überschlug. »Und Grady und Mrs. Fletcher sprechen es nicht aus, aber ich weiß es genau, auch sie glauben, du seist verloren. Manchmal habe ich das Gefühl, selbst Neil wolle dich aufgeben.«
    Ihr Bruder betrat das Zimmer selten, und wenn, schwieg er stets und hockte sich ans Bett, als warte er auf irgendetwas, nur um kurz darauf wieder hinauszugehen. Als Kate ihn einmal gefragt hatte, weshalb er immer so kurz bei ihrem Vater verweile, war er ihr über den Mund gefahren: »Im Gegensatz zu dir sehe ich ihn nicht. Alles, was ich tun kann, ist lauschen, und dieses schrecklich gequälte Röcheln ertrage ich nicht. Er atmet, als sterbe er jeden Moment, und es wäre umso entsetzlicher, bräche urplötzlich Stille herein, also bleibe ich nicht allzu lange im Raum.«
    An und für sich stand für sie unbestreitbar fest: Neil liebte ihren Vater, doch dass er es genauso innig und aus reinem Herzen tat wie sie selbst, konnte sie sich nicht so recht vorstellen. Ihr Bruder hatte in mancher Hinsicht ein ausgesprochen dickes Fell. Bisweilen fiel ihr auf, wie stockfinster er dreinschaute, als schwelge er in Schreckensbildern, die sich keine gutwillige Seele je ausmalen konnte. Dann redete sie sich ein, seinem Mienenspiel zu viel Bedeutung zuzumessen, während er vermutlich bloß Luftschlösser baute. Falls dem jedoch so war, wollte sie nicht wissen, wie diese aussahen.
    Der Anblick ihres Vaters, über dessen Körper sich die Decken kaum bauschten, grämte sie so sehr, dass sich ihr Magen verkrampfte. Ihr Atem stockte, sie verzog das Gesicht vor Schmerz und fing zu weinen an. »Was ist mit dir geschehen?« Sie legte den Kopf auf seine Brust. »Ich weiß, du hörst mich.«
    Sie schloss die Augen und wimmerte leise, während sie die Falten auf dem Nachthemd ihres Vaters glättete und sich vorstellte, seine Arme würden sich wie aus heiterem Himmel bewegen. Welcher Schauer würde ihr über den Rücken laufen, so er ihr dort mit der Hand hinauffuhr. Dann sollte er sie umarmen und den Mund öffnen, um ihr tröstliche Worte zuzuflüstern: Ich bin hier, Liebes. Alles wird gut. Sie würde weinen, bis sie glaubte, ihr eigenes Leben sei gleichsam verwirkt, ihn drücken, dass er protestierte, und schließlich schreien, damit alle Welt es hörte: Ja, Campbell war als Quacksalber bloßgestellt, und zwar von seinem eigenen Patienten, der dem Tod getrotzt hatte. Man musste es bis Weihnachten zelebrieren und feiern und das Haus ebenfalls wieder mit Leben füllen.
    »Komm zurück«, flehte sie mit vor Gram schwerer Brust. »Komm zu uns zurück.«
    Sie hob den Kopf.
    Im Moor tirilierte ein Vogel. Während die Dunstschwaden einander umgarnten, changierte auch das Licht ununterbrochen. Dabei war es windstill und überhaupt vollkommen ruhig.
    Abgesehen vom gurgelnden Atemgeräusch eines Einzelnen.
    Kate erschrak; nun lief es ihr tatsächlich eiskalt den Rücken

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