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Herr der Moore

Herr der Moore

Titel: Herr der Moore Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kealan Patrick Burke
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es nun aber tat, wusste er nicht, wie er sich verhalten sollte. Ein mutiger Mann hätte ihr unverhohlen den Hof gemacht, doch obwohl sich Neil oberflächlich tapfer zeigte, bekam er jetzt weiche Knie. Zweifel taten sich auf: Was, wenn sie bloß mit ihm spielte? Es mochte eine Finte sein, mit der sie sich für seine langjährige Kaltschnäuzigkeit ihr gegenüber rächen wollte. Dies lag gewiss weit näher, denn die Blöße, anhand welcher sie auch nur andeutungsweise auf sein Interesse schließen konnte, hatte er sich zu keinem Zeitpunkt gegeben. Erdrückend kamen ihm diese Gedanken vor, wenn sie auch leichter zu verwinden waren als ihre unerwartete Einladung.
    Er brachte ihr das Mehl und stellte es vorsichtig auf der Theke ab. »Brauchst du noch irgendetwas?«
    »Nein«, antwortete sie und stellte das Säckchen in einen Karton. »Ich wäre froh, wenn du es noch bis zur Tür tragen könntest.«
    »Oh, bestimmt wärst du das«, höhnte er, ohne ihrer Bitte nachzukommen. Als sie entnervt schnaufte, musste er ein Lächeln zurückhalten.
    »Also dann. Bis heute Abend. Ich hoffe wirklich, dass du dich beim Tanzen galanter zeigst.«
    Als sie den Laden verließ, blieb nur ihr Duft zurück, berauschend wie eine Droge und doppelt so intensiv. Er stieg ihm zu Kopf und beeinträchtige seine Gedanken, bis er sicher war, dass er sich selbst betrog, indem er vorgab, dem Fest fernzubleiben und ihre Offerte auszuschlagen.
    Die Heerscharen der Hölle hätten ihn nicht davon abgehalten.

4

    Ein Geist lag still im Bett. Ein schlanker Schatten betrachtete ihn von der Tür aus.
    »Vater?« Kate fürchtete sich fast davor, zu laut zu sprechen und seinen gelähmten Körper mit Worten zu zerbrechen, als sei er aus Glas.
    Eine Reaktion zu erwarten, war unsinnig. Obwohl Doktor Campbell davon abgeraten hatte, ihn anzusprechen, tat sie es weiterhin, weil sie fest damit rechnete, er werde eines Tages antworten. Sie pochte darauf, weil Menschen nicht einfach so dahinschieden, ohne Lebewohl zu sagen.
    Sein unheimlich weißes Gesicht war dem Fenster zugewandt. Das dämmerige Morgenlicht warf Schatten auf seine eingefallenen Wangen und brach sich an grauen Bartstoppeln. Er hatte die Augen geöffnet, blinzelte jedoch nicht. Man hätte ihn wirklich für tot halten können, wäre da nicht das leise Rasseln seines Atems gewesen, zumal sich die Decken auf seiner erbärmlich mageren Brust sanft hoben und senkten. Die Sonne durchbrach den träge dahinziehenden Nebel, bevor sie durch die Scheibe schien. Draußen im Dunst sahen ihre Strahlen wie Schwerter aus, die auf das Haus zeigten, und Tau beglänzte das Moor wie verschüttgegangene Diamanten. Kate hätte gern geglaubt, ihr Vater labe sich an der schönen Aussicht, doch als ihr dies einmal im Gespräch mit Campbell über die Lippen gekommen war, hatte der Arzt es als lächerlich abgetan, wie man es von ihm erwarten konnte. Sein Zustand deutet in mancher Hinsicht auf Krebs oder eine degenerative Krankheit hin, andererseits wiederum nicht. Er leidet unter rapidem Muskelschwund, atmet flach und spricht nicht auf Stimuli an. Zudem verliert er Gewicht, Haare und Zähne, doch der Grund dafür will mir nicht einleuchten. Trotz zahlreicher Symptome fehlt schlicht eine Ursache. Man ist geneigt, ihn für tot zu erklären, bloß scheint sein Organismus es noch nicht bemerkt zu haben. Du hast also, junges Mädchen, eine leere Hülle vor dir. Er sieht nichts und spürt noch weniger. Ergehe dich nicht in haltlosen Wunschträumen.
    Wie sie ihren Vater nun sah, wusste Kate sicherer denn je, dass der Doktor ein inkompetenter Pfuscher war. Campbells übermäßiger Alkoholkonsum war kein Geheimnis, und Gerüchten zufolge war er nicht aus eigenen Stücken von London nach Brent Prior gekommen. Das zu glauben fiel leicht, denn so beschaulich es hier auch anmutete, gab es kaum einen Ort, der abgeschiedener und trostloser als die Sümpfe war. Das Auge eines gewogenen Betrachters erkannte die Schönheit dieser Gegend, doch wer sich auf die Hektik von Londons Straßen, Spelunken und Marktplätzen verstand, musste das Leben hier als ultimative Bestrafung beziehungsweise Gefängnis auffassen.
    »Vater?«, wisperte sie erneut und ließ sich auf der Bettkante nieder. Er nahm sie nicht wahr; weder hielt er unvermittelt den Atem an, noch deutete eine Bewegung seiner Lider darauf hin, dass er abgesehen von dem wie auch immer gearteten Albtraum, der sich hinter seiner Stirn abspielte, irgendetwas realisierte. »Ich gehe heute Abend

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