Herr der Moore
angehäuft. Zu Beginn redete er sich noch ein – wohl bewusst zur Selbsttäuschung –, sie erstehe all dies für sich selbst, doch diese sowieso fadenscheinige Ausflucht zerschlug sich eines Abends, als sie betrunken nach Hause kam. Sie hatte Gin gesoffen und verströmte einen virilen Gestank, als sei sie bei einem anderen Mann gewesen. Zudem machte sie keine Anstalten, eine neue Perlenkette vor Campbell zu verstecken.
»Bei wem warst du?«, wollte er wissen, obwohl er nicht erwartete, den Namen des Kerls zu kennen. Trotzdem konnte er nicht aufhören, darüber nachzusinnen, wobei er sich schämte, weil er überhaupt keinen Zorn empfand. Er stand nicht einmal auf, während sie vor ihm stolzierte – ja, sich als Fremdgängerin brüstete, als sei er ihr Bruder, ein Freund oder Vertrauter, aber nicht ihr Ehemann. Er blieb einfach mit den Händen zwischen den Oberschenkeln sitzen. Ihr Verhalten hätte ihn rasend machen sollen, tat es aber nicht, sondern kratzte bestenfalls an der Oberfläche seiner Seele, die mit dem Alter ohnehin schrundig geworden war.
»Er heißt Simon und ist ein echter Gentleman.«
Der Betrug an sich störte ihn weniger als ihr mangelndes Schuldbewusstsein. Sie wirkte fast stolz und führte sich auf, als hätte er längst von ihrer Affäre wissen oder sie mindestens ahnen müssen.
Vier Tage später war sie auf und davon – kein Brief, kein persönlicher Abschied. Was blieb, war allein ihr Geruch in einem kalten, verstaubten Haus.
Wochen vergingen, ehe sich Wut bemerkbar machte. Um deren Flammen zu löschen, verfiel er nach der Abstinenz, zu der er fünfzehn Jahre zuvor auf Agnes’ Geheiß hin angetreten war, erneut dem Alkohol. In gewisser Weise bildete er sich dabei ein, seinerseits sie zu hintergehen, weshalb er es genoss und dabei blieb, bis er keinen anderen Lebensinhalt mehr sah. Bald vergaß er, weshalb er seine abtrünnige Frau überhaupt verachtete, wusste nur noch, dass er es tat und auch weiterhin so halten würde.
»Wer ist da?«, fragte jemand und schreckte den Arzt aus seinem Wachtraum auf. Er lehnte an der Mauer und sah durch seinen Atemnebel, wie langsam ein Junge auf ihn zukam.
Es war Mansfields Sohn, ein weiteres Gör, ruppig und schlecht erzogen. Er missbrauchte seine Blindheit, um arglos und ohne Reue jeden zu beschimpfen, der ihm nicht gefiel.
Verdammte Kinder … Bastarde allesamt. Man ersäuft sie besser gleich nach der Geburt.
Der Junge, dessen Augen abgesehen von einem silbrigen Glast gänzlich weiß waren, runzelte die Stirn, während er den Kiesweg vor sich mit einem langen, dünnen Stock abklopfte. Dabei streckte er einen Arm von sich und grapschte mit seinen schmutzigen Fingern ins Leere. »Weisen Sie sich aus.«
Jetzt hat er die Augen seines Vaters , dachte Campbell und grinste hämisch, als er zurückwich. Kalter Stein stach in sein Kreuz, während der Blinde nach ihm langte und sein Gesicht nur um wenige Zoll verfehlte. Schweigend hoffte er darauf, der Knabe werde weitergehen.
Neil schnüffelte, ehe er leicht angewidert dreinschaute. »Ach, Sie sind es«, bemerkte er und setzte seinen Weg zu dem imposanten Sandsteingebäude fort, das die Ortschaft von Barrow Hill aus überblickte.
Campbell sah ihm einen Augenblick lang hinterher, spuckte dann auf den Boden und nahm seinen Flachmann wieder heraus. Der junge Mansfield hatte ihn seit jeher angeekelt, was einen triftigeren Grund hatte und nicht nur am Verhalten des Kindes lag. Von seiner Blindheit rührte es auch nicht, denn Campbell praktizierte schon zu lange, als dass er sich etwas daraus gemacht hätte. Was es genau war, konnte er aber nicht bestimmen. Jetzt nahm er es mit Gleichmut hin und zog lange an seinem Whiskey, ehe er den Deckel wieder aufschraubte und das Fläschchen im Mantel verstaute. Dann eilte er zum Fox & Mare , wo ihn, wie er hoffte, angenehmere Gesellschaft erwartete.
7
Der Stock schlug gegen den Fuß einer Eiche. Neil ließ die Finger über das verwitterte Holz gleiten und bewegte sich nach links weiter. Wie von einer Antenne geleitet, verließ er das Kiesbett und betrat die Laubdecke auf dem Sandweg, der ihn nach Hause führte .
Eine sanfte Brise rauschte durch das Geäst der Bäume und trug rauchigen Waldgeruch heran. Die nackten Zweige klapperten wie morsche Knochen, und tote Blätter raschelten am Boden. Es war frisch geworden.
Neil stellte sich das Haus als Quader aus kühlem Stein vor, wie Grady es einmal beschrieben hatte, und fragte sich, ob dies nun der Tag sei, an dem er
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