Herr der Moore
aufbegehrt, wäre ihm die Zunge aus dem Mund gerissen worden. Genau dies hätte er auch versucht, so er mit ihr allein gewesen wäre. In Gradys Beisein jedoch mochte er sich dadurch nur in Kalamitäten bringen, denn der Hausdiener verhielt sich ihr gegenüber wie ein treuer Hund.
Campbell seufzte. Zumindest durfte er sich an Kates verwirrtem Blick in dem Moment aufheitern, als er ihr das Blut gezeigt hatte. Im Nu war sie kleinlaut geworden, womit er gerechnet hatte. Auch wenn ihn die seltsame Farbe ebenso vor ein Rätsel stellte. Es war vollkommen unnatürlich, dass ein Lebewesen statt rotem Blut etwas metallisch Aussehendes absonderte, doch der Doktor begriff ums Verrecken nicht, wie es dazu kommen konnte.
Die Fachleute in London beziehungsweise seine ehemaligen Kollegen hätten ihre rege Freude daran. Ob er sie einweihen würde oder nicht, musste er noch entscheiden. Aller Wahrscheinlichkeit nach handelte es sich bei dem Fluidum um eine bahnbrechende Entdeckung – eine wegweisende Anomalie, die ihn steinreich machen und neuerliches Ansehen genießen lassen mochte. In seinen nächtlichen Wahnvorstellungen maßte er sich noch an, einmal ein geachteter Arzt gewesen zu sein. Infolgedessen verspürte er stets Tatendrang, wohingegen ihn die Wirklichkeit oftmals rasch auf den Boden der Tatsachen zurückholte, wie es auch heute der Fall gewesen war.
Die Welt geriet aus den Fugen. War es da ein Wunder, dass er sich regelmäßig in die Vergessenheit flüchtete und sein Heil im Whiskey suchte, der ihn vor den Dummdreisten, den frommen Eiferern und Betrügern bewahrte? Keinesfalls. Der Mikrokosmos seines eigenen Daseins war vor nicht allzu langer Zeit implodiert, als er der Tatsache ins Auge gesehen hatte, dass sich seine Tage nicht mehr großartig voneinander unterschieden, während Fieberträume und verdrängte Erinnerungen die Nächte beherrschten. Seine Ehefrau hatte ihn fallen lassen wie eine heiße Kartoffel und sich geschwind einen Liebhaber angelacht, der wohl nur lauwarm war. Campbell hingegen hatte sich zur fahlen und leeren Hülle heruntergewirtschaftet. Seine Adern zeichneten sich wie Spinnweben unter der Haut ab, und den Mund brauchte er, wenn er nicht gerade über Krankheitsbilder mutmaßte, nur zum Konsum des Treibstoffes, der ihn daran erinnerte, wie man Luft holte – oder besser gesagt, im Alkoholtaumel redete er sich ein, er wolle noch atmen und aufwachen, wenn sich ein weiterer Morgen anschickte, gehässiges Licht auf sein Antlitz zu werfen.
Und weiß Gott, es machte ihn wütend – so sehr, dass er ewig viel Zeit damit vergeudet hatte, dem Idealbild eines treusorgenden Ehemannes zu entsprechen, und ihm klar gewesen war, dass er sich darauf überhaupt nicht verstand. Die Ehe galt ihm im wahrsten Sinn des Wortes als Institution. Darin gab es für ihn keinen Mittelweg und keine Kulanz. Vielmehr pendelte man sich allmählich zwischen zwei Rollen ein, der tonangebenden und der unterwürfigen, gefangen als Paar zwischen falscher Sympathie und pflichtbewusster Zärtlichkeit. Am schlimmsten dabei war, dass nicht er den dominanten Part gespielt hatte, sondern auf den des stillen Beobachters zurückgeworfen war, der ständig starrte und trotzdem nicht verstand, wen oder was er geheiratet hatte. Über Nacht schien Agnes ’ Zurückhaltung einer unerklärlichen Kühnheit gewichen zu sein, mit welcher er nicht übereinkam. Sie entwickelte sich zu einem schnatternden Weibsbild, das einzig auf Äußerlichkeiten und ihren gesellschaftlichen Stand achtete. Manchmal verspürte sie auch den starken Drang, Abstand von Brent Prior und dem »schmierigen Fußvolk« zu nehmen, wie sie es nannte. Agnes war eine Frau der Dünkel und Allüren geworden. Sie hegte verstiegene Erwartungen, war atemberaubend schön und dessen ungeachtet schrecklich oberflächlich. Während er ihre Tiraden und wahnhaften Selbstgespräche – beides im Duktus einer Aktrice, die sich an ein Publikum wendete statt an ihren Gatten – wortlos über sich ergehen lassen hatte, war der harte Panzer, den sein Zorn legiert hatte, mit der Zeit aufgesprungen. Wie aus einem Keim entspross Argwohn, der wiederum Triebe echter Abscheu schlug.
Dann fing sie mit dem Schmuck an.
Mit einer Brosche nahm es seinen Lauf, einem zumindest Campbells Einschätzung nach billigem Schnittstein, den sie vermutlich auf einem ihrer langsam zur Gewohnheit werdenden Abstecher nach Devon gekauft hatte. Nach einigen Monaten aber hatten sich kostbarere Stücke auf ihrem Nachttisch
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