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Herr der Moore

Herr der Moore

Titel: Herr der Moore Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kealan Patrick Burke
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heimkehren und seinen Vater wach antreffen würde. Er bezweifelte es und realisierte: Ihm machte es zumindest vorerst nichts aus, dass sein Erzeuger ans Bett gefesselt war. Daraus, dass der Vater sein Schlafzimmer nicht verlassen konnte, erwuchs eine Freiheit, die der Sohn auskostete. Niemand machte ihm Vorschriften, man trug ihm wenig Arbeit auf und nahm es mit der Disziplin nicht so genau. Mrs. Fletcher und Grady waren nämlich nicht gerade willens, Regeln für den häuslichen Alltag aufzustellen, und Jack Mansfield hatte sein Anwesen nie mit eiserner Hand regiert. Natürlich war manches dennoch tabu geblieben, doch Neil hatte genau dies umso sehnlicher tun wollen, nachdem seine Neugier entflammt war.
    Halte dich vom Moor fern , hatte sein Vater geraten. Du kannst dir die Zeit auf viele Arten vertreiben, aber wehe, mir kommt zu Ohren, dass du dort herumschnüffelst. Der Sumpf steckt voller Gefahren und ist kein Platz für einen Buben, der nichts sieht.
    Einen Buben, der nichts sieht …
    Die Worte verbitterten Neil. Es war nur eine einzelne Umschreibung aus einem reichhaltigen Fundus, der ihm das Gefühl vermitteln sollte, nutzlos und bedürftig zu sein, damit man einen Grund hatte, ihn an der Hand zu nehmen. Vor der Erkrankung seines Vaters hatten für Neil in allen Belangen Sonderregeln gegolten. Jeder noch so einfache Befehl war inklusive Mitgefühl für den ach so armen, blinden Jungen geäußert worden, bis sich Neil zwanghaft selbst beweisen musste. Seinem Körper widerstrebte dies, und jeder Versuch überzeugte seinen Vater umso nachhaltiger davon, dass er seinen Zögling zu Recht bevormundete. Es frustrierte den Jungen, also verfolgte er irgendwann eine andere Richtung. Wenn er nicht auf eigene Faust herumziehen durfte, würde er es überhaupt nicht mehr tun.
    So wurde das Haus zu seinem Gefängnis; alles, was er anfasste, kam ihm aufgrund der Vertrautheit geschwind schal vor. Die Mäuse in den Wänden drohten, ihn mit ihrem Scharren in den Wahnsinn zu treiben. Das Gurgeln der Dachrinnen und wie der Regen gegen die Fenster prasselte, immerzu fernes Donnergrollen, das sich in hämisches Gelächter verwandelte, und das Arbeiten der Schindeln, wie Mrs. Fletcher summte und Grady ohne Melodie zu pfeifen neigte, während Kate in ihren verdammten Büchern blätterte, das Ächzen der Bohlen am Boden, rauschende Kerzenflammen und die Stimme seines Vaters, der darauf bestand, jemand solle mit Neil an die frische Luft gehen, Zungenschnalzen und die unaufhörlichen Sticheleien seiner Schwester. All dies verdichtete sich zu einem tosenden Wirbelsturm, einer Kakofonie betäubender Geistlosigkeit vom Aufdringlichsten, bis er es nicht mehr länger ertragen konnte.
    An Kates Geburtstag veränderte sich alles. Ihr Vater wurde krank, und im Haus kehrte Stille ein. Monate vergingen, Jahreszeiten wechselten, doch die unbeschwerte Geräuschkulisse von dereinst stellte sich nicht wieder ein. Neil ging allein aus und nahm sich bereits beim ersten Mal vor, es bis ins Dorf zu schaffen. Leider stolperte er und fiel, sodass er kleinlaut zurück zum Haus kroch. Wie zu erwarten gerieten Grady und Mrs. Fletcher außer sich.
    Neil war es gleich.
    Hinterher versuchte er es mehrmals wieder, gelangte aber selten weiter als bis zu dem Baum am Ende der Straße. Eines Morgens schließlich nach langem Hin und Her erlaubte er Kate, ihn zu begleiten. Dies sollte ausdrücklich nicht bedeuten, dass sie ihn führte; sie würde bloß bei ihm bleiben, bis er das Dorf erreichte. Er stürzte wieder und stieß dabei gegen einen niedrig hängenden Ast. Die Wunde an der Stirn, die er sich zuzog, war groß genug, um Mrs. Fletcher später beim Stillen der Blutung erbleichen zu lassen. Zunächst aber setzte er sein Vorhaben stur fort und blieb nur stehen, als Kate seinen Arm festhielt. Da entzog er sich und ließ sich beinahe zu einer Schimpftirade hinreißen, doch sie ergriff zuerst das Wort: »Wir sind da«, ließ sie ihn wissen. »Du hast es geschafft.«
    »Natürlich, hast du etwas anderes erwartet?«, blaffte er, während er sich insgeheim diebisch freute.
    Von da an zog er wirklich allein durch die Gegend und ließ sich dabei von den Geräuschen der Natur leiten. Grady schnitt ihm aus dem Ast einer Eiche einen stabilen Gehstock zurecht, und obwohl sich Neil zunächst dagegen sträubte, weil es ihn einmal mehr daran erinnerte, dass ihn die Leute bedauerten und für unfähig hielten, wollte er ihn alsbald nicht zu Hause vergessen. Nach einer Weile wurde

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