Herr der Moore
der schlanke Eichenstab zum steten Begleiter, dessen Klopfen Neil jedem schwatzenden, murmelnden Menschen gegenüber vorzog, von winselnden Hunden ganz zu schweigen.
Als der Stock nun gegen einen breiten, flachen Stein stieß, sah sich Neil in seinem Gedankengang unterbrochen. Er war vom Weg abgekommen, fand die Marksteine jedoch flugs wieder, die Grady im gleichmäßigen Abstand am Rand des Pfades gesetzt hatte, damit der Junge nicht aus Versehen ins Moor abwanderte.
Das Moor.
Hier draußen hörte er es, denn es grenzte ja an ihr Grundstück. Neil erinnerte sich noch genau daran, wie Kate auf seine Beschreibung der Sumpfgeräusche hin gelacht hatte. Mit einer gedämpften Stimme hatte er sie verglichen, »als wolle jemand ein Geheimnis preisgeben, ohne jedoch die rechten Worte zu finden. Bei Nebel glaubt man fast, das Moor atme.«
Kate war dies so abwegig vorgekommen, dass er sie an den Haaren gezogen hatte, damit sie zu lachen aufhörte. Seither weigerte er sich, es wieder zu erwähnen, und die anderen Laute, die er gehört hatte, zählte er ihr erst gar nicht auf. Diese waren ein nächtliches Flüstern durchs Schlafzimmerfenster; etwas rief nach ihm und forderte ihn auf, es zu suchen. Es lauerte im Moor, das wusste er. Es ängstigte die Dorfbewohner so sehr, dass sie Haus und Habe hinter sich ließen, um ihm zu entrinnen. Etwas Hässliches, Gefräßiges hatte sie scheu gemacht – etwas, das sich hinter dem Schleier aus Nebel und Finsternis zurechtfand, die Bestie von Brent Prior vielleicht. Der Gedanke erheiterte Neil. Natürlich war es ein bloßes Hirngespinst, denn er glaubte nicht an solcherlei, wenn er sich auch allzu gern ausmalte, wie nachts untote Riesenhunde durchs Moor hetzten und dämliche Schafe wegschnappten, ehe diese wussten, wie ihnen geschah.
Neils Freude war nur von kurzer Dauer, denn nun drang etwas in seine Fantasie ein und lenkte ihn ab. Der herbstliche Geruch wurde beim Weitergehen intensiver, was er bisher ignoriert hatte. Es ging durchaus schon auf den Winter zu und Bäume, die ihre Wurzeln mit einer dicken Schicht Laub zum Verrotten bedeckt hatten, flankierten den Pfad.
Dennoch mutete dies anders an, roch zu süßlich, um normalen Ursprungs zu sein. Neil verband es mit einem Morgen im vergangenen Sommer, als ihn ein schwacher, aber unangenehmer Geruch geweckt hatte, der eindringlicher geworden war, nachdem er sich zum Frühstück ins Erdgeschoss begeben hatte. Seine Nase führte ihn zur Kammer unter der Treppe, doch als Grady darin nachschaute, entdeckte er nichts und nahm auch keinen außergewöhnlichen Gestank wahr. Eine Woche später, während das Wetter allmählich milder wurde, wurde es aber unerträglich. Als Grady da die Kammertür aufzog, entging es ihm nicht, und nach kurzer Suche entdeckte er eine Ratte im fortgeschrittenen Stadium der Verwesung in einem seiner ausgedienten Arbeitsstiefel.
Diese Note nun kam dem nahe, auch wenn sich der Geruch der Umgebung damit mischte, Holzrauch und tote Blätter. Hatte sich etwas zum Sterben darunter verkrochen? Die Vernunft ließ den Schluss zu, doch Zweifel konnte er nicht verdrängen.
Er ist hier.
Es war eine vermessene, kindische Vorstellung, die sich aber hartnäckig hielt.
Er ist hier und beobachtet dich.
Nein, ist er nicht. Sei nicht albern. Weshalb sollte er mir folgen?
Weil er wahnsinnig ist.
Er schlug ein forscheres Tempo an, soweit es möglich war, ohne hinzufallen. Bis zum Haus konnte es nicht mehr allzu weit sein, was er an der leichten Biegung des Weges festmachte, die ihn geradewegs vor die Tür leiten sollte.
Die Schritte, die das Laub zum Rascheln brachten, waren nicht seine eigenen. Jemand blieb ihm beängstigend dicht auf den Fersen.
Neil stöhnte erschrocken, als ihn sein Stock im Stich ließ. Er stolperte und wäre fast gefallen, hätte er nicht in letzter Sekunde geschafft, sein Gleichgewicht wiederzuerlangen. Der Wind brauste auf, dass die knochigen Äste noch eindringlicher knackten. Er wirbelte mit erhobenem Stock herum, um sich wehren zu können.
»Wer ist da? Kate?«
Es sähe ihr ähnlich, ihm Angst einjagen zu wollen, aber wenn sie sich nicht gerade im abgestorbenen Dickicht wälzte, musste dort jemand anders stehen und ihn beobachten.
»Wer bist du?«, fragte er und malte sich aus, wie sein unbekannter Verfolger aussehen mochte, doch die einzelnen Wesenszüge ließen sich partout nicht zusammenfügen.
Aufhören. Falls er merkt, dass du Angst hast, wird ihn das nur ermutigen. Er wusste nicht, woher
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