Herr der Schlangeninsel
Umschweife. Die Chinesen sind auf
der Insel. Das bedeutet Gefahr.“
Tim wollte sich in Bewegung setzen.
In diesem Moment tauchte Kurt neben
ihnen auf.
„Na, wie fühlt ihr euch? Zufrieden?“
„Alles super“, erwiderte Karl.
„Ob es die volle Punktzahl gibt“,
meinte Klößchen, „hängt nur noch von der Küche ab. Ich bin da ziemlich
verwöhnt.“
„Du wirst begeistert sein“, prophezeite
Kurt. „Es gab noch nie Beschwerden — allenfalls solcher Art, daß die Gäste
murrten, weil sie dicker wurden. Es schmeckt halt so gut.“
„Ist das dort der Tauchlehrer?“ fragte
Tim.
„Ja, das ist Demetrios. Kommt! Ich mache
euch bekannt.“
Der Grieche lächelte mit großen Zähnen
und gab allen die Hand.
Tim verwickelte ihn in ein Gespräch
übers Tauchen.
Kurt, der das schon kannte, blieb
höflich eine Weile dabei und trollte sich dann mit einem gemurmelten „Ich seh
euch später“.
So, dachte Tim, jetzt können wir zur
Sache kommen.
„Demetrios“, sagte er, „erschrecken Sie
nicht. Was wir Ihnen zu sagen haben, betrifft Ihren Bruder. Nick ist doch Ihr
Bruder?“
Peng! Man konnte es zwar nicht hören,
aber sehen, wie bei dem Tauchlehrer das Visier runterging. Das eben noch
freundliche Gesicht schien sich hinter einer eisernen Maske zu verstecken.
„Wie bitte? Ich verstehe dich nicht.“
„Ich meine Ihren Bruder Nick Klaudonia,
den Meisterdieb.“
„Ich... ich habe keinen Bruder.“
Tim stöhnte. Seine Freunde schickten
Blicke zum Himmel.
„Demetrios“, Tim redete wie zu einem
Kranken, „es ist jetzt nicht der richtige Moment, um eine unglaubwürdige Schau
abzuziehen. Denn es geht um Kopf und Kragen. Klar?“
„Nein. Nichts ist klar. Ich weiß nicht,
wovon du redest.“
„Versuchen wir’s mal anders. Wir kommen
aus jener deutschen Großstadt, in der Antonia Vasilopoulos, die Braut Ihres
Bruders Nick, bisher gelebt hat. Durch Zufall sind wir in die Sache mit dem
Jade-Tiger hineingeraten, weil ein Chinese aus der Sippe Li — ihr gehört der
Jade-Tiger — unser Freund ist. Wir wissen genau, was bisher lief. Ihr Bruder
hat Xiang-Beutezahn den Jade-Tiger geklaut. In Amsterdam. In unserer Stadt
sollten 300 000 DM für den Rückkauf gezahlt werden. Die gefährlichen Typen Wu
und Zhuo, die Xiang losgeschickt hat, hinterlegten auch tatsächlich das Geld.
Aber es fiel in andere Hände, bevor Ihr Bruder, Antonia und dieser Edgar vor
Ort waren. Können Sie mir folgen?“
„Nein. Keine Ahnung.“
Er log.
Seine Mimik verriet ihn.
Verzweifelt versuchte er, unbeteiligt
auszusehen, gelassen, gleichgültig.
Statt dessen zuckten verschiedene
Nerven in dem braunen Gesicht. Der Blick flackerte. Und der Hals machte
Schluckbewegungen.
„Ich erzähle es Ihnen trotzdem“, sagte
Tim. „Auch wenn Sie keinen Bruder haben und mit der Geschichte nichts anfangen
können. Sie ist außergewöhnlich und deshalb für jeden interessant.
Einverstanden?“
„Ja, bitte.“ Mit der Zunge feuchtete er
sich die Lippen an.
„Also“, fuhr Tim fort, „dieser Nick
Klaudonia, der nicht Ihr Bruder ist, hat sich abgesetzt. Nach unseren
Erkenntnissen. Samt Braut und Freund Edgar. Die drei sind hier, vermutlich.
Denn Padoklion und speziell der Ort Dikti Sfakion ist die Heimat des Pärchens
Nick und Antonia. Leider wissen das auch die gefährlichen Typen aus Amsterdam.
Wir sind Wu und Zhuo auf dem Fährschiff begegnet. Sie haben uns bedroht. Als
Ferienreisende kommen die nicht hierher. Sie suchen Nick. Sie wollen ihm den
Jade-Tiger abnehmen, und sie werden kein Mittel scheuen. Wenn Sie diesem Nick
zufällig begegnen, Demetrios, dann sollten Sie ihn warnen.“
„Leider... kenne ich ihn nicht.“
„Völlig klar. Sie kennen ihn nicht.“
„Diese... verbrecherischen Chinesen
sind hier?“
„Sind mit uns von Bord gegangen. Dann
haben wir sie aus den Augen verloren.“
„Na... na schön! Eigentlich...
eigentlich geht mich das nichts an. Aber man nimmt ja Anteil am Schicksal der
Menschen.“
„Ist genau unsere Meinung“, nickte Tim.
„Das wär’s dann. Bis später.“
Er wandte sich ab und schlurfte — mit
nackten Füßen in leichten Turnschuhen — in Richtung Strand. Gaby hängte sich
ein an Tims rechten Arm. Karl lachte leise, was Demetrios galt. Klößchen
lüftete seinen Strohhut, wischte sich Schweiß von der Stirn und setzte ihn
wieder auf.
Unweit der Kanus fanden sie einen
Sonnenpilz, der genügend Schatten für vier spendete.
„Demetrios tat mir richtig leid“, Karl
lachte noch immer.
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