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Herr der Träume

Herr der Träume

Titel: Herr der Träume Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Roger Zelazny
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zum Hals. Er beugte sich weit zurück. Er schwang nach links. Der Wind peitschte ihm ins Gesicht. Ein Schauer von Eiskristallen stob hoch und traf seine Wange.
    Er bewegte sich.
    Seine Füße waren zwei schimmernde Flüsse, die über den Hang rasten und nicht zufroren. Abwärts. Fort von allen Zimmern der Welt. Fort vom erstickenden Mangel an Intensität.
    Und als er die Abfahrt hinabrasten, verspürte er den starken Drang sich umzudrehen, um zu sehen, ob ihm die Welt, die er oben hinter sich gelassen hatte, nicht einen Schatten nachschickte, um ihn einzuholen und in den warmen, gut erleuchteten Sarg im Himmel zurückzuzerren und hineinzulegen, mit einem Aluminiumnagel durch seinen Willen getrieben und einem Kranz von Wechselstrom, der seinen Geist erstickte.
    »Ich hasse dich«, stieß er zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor, und der Wind trug die Worte davon, und er lachte, denn rein gewohnheitsmäßig analysierte er stets seine Gefühle. Und er fügte hinzu: »Orest geht ab, zornig, gefolgt von den Furien ...«
    Nach einiger Zeit wurde der Abhang flacher, und als er das Ende der Abfahrt erreichte, blieb er stehen.
    Er rauchte eine Zigarette und fuhr dann wieder mit dem Lift hinauf. Die zweite Abfahrt würde er nicht aus therapeutischen Gründen unternehmen.
     
    An jenem Abend saß er vor einem der Feuer im großen Gästeraum und fühlte, wie die Wärme in seine müden Muskeln drang. Jill massierte seine Schulter, als er mit den Flammen Rorschach spielte. Als er gerade einen scheinenden Kelch sah, hörte er jemanden seinen Namen rufen.
    »Charles Render!« sagte sie Stimme, und sein Kopf zuckte augenblicklich in ihre Richtung. Aber vor seinen Augen tanzten zu viele Nachbilder, als daß er den Rufer hätte sehen können.
    »Maurice?« fragte er nach einem Augenblick. »Bartelmetz?«
    »Ja«, kam die Antwort, und dann erkannte Render den ergrauten Kopf mit der beginnenden Glatze. Der Mann, der sich zwischen umherliegenden Krücken, Skiern und den Leuten durchschlängelte, die es ebenso wie Jill und Render verabscheuten, auf Sesseln zu sitzen, hatte einen rot-blauen Plüschpullover an, der sich stramm über die Rundungen der Leibesmitte spannte.
    »Du hast zugenommen«, bemerkte Render. »Das ist ungesund.«
    »Unsinn, das sind alles Muskeln. Wie geht es dir, und was treibst du so?« Er blickte auf Jill hinunter, und sie lächelte zurück.
    »Das ist Miß DeVille«, stellte Render vor.
    »Jill«, sagte sie.
    Er verbeugte sich leicht und ließ endlich Renders schmerzende Hand los.
    »... und das ist Professor Maurice Bartelmetz aus Wien«, fuhr Render fort, »ein unwissender Schüler aller Arten des dialektischen Pessimismus und ein berühmter Pionier der Neuropartizipation – nur vom Aussehen her würde man es nicht glauben. Ich hatte das Glück, länger als ein Jahr sein Schüler zu sein.«
    Bartelmetz nickte. Er sah zu, wie Render eine Schnapsflasche aus einer Tasche zog, und nahm einen Becher entgegen, den Render bis zum Rand füllte.
    »Ah, du bist immer noch ein guter Arzt«, seufzte er. »Du hast augenblicklich die Diagnose erstellt und die richtige Medizin verschrieben. Prosit!«
    »Sieben Jahre in einem Schluck«, stellte Render fest und füllte ihre Gläser von neuem.
    »Dann wollen wir die Zeit etwas strecken, indem wir an ihr nippen.«
    Sie setzten sich auf den Boden, das Feuer flackerte in dem großen Kamin, und die Holzscheite verbrannten zu Ästen, zu Zweigen, zu dünnen Stäben, als ein Jahresring nach dem anderen zu Asche wurde.
    Render legte nach.
    »Ich habe dein letztes Buch vor etwa vier Jahren gelesen«, bemerkte Bartelmetz.
    »Ja, das kann stimmen.«
    »Betreibst du gegenwärtig irgendwelche Forschungen?«
    Render stocherte im Feuer.
    »Ja«, antwortete er, »man kann es so nennen.«
    Er warf einen Blick zu Jill hinüber, die, mit der Wange gegen einen riesigen Ledersessel gelehnt, schlummerte. Über ihr Gesicht huschten purpurne Schatten.
    »Ich bin auf eine ziemlich ungewöhnliche Person gestoßen und habe mit einer Arbeit begonnen, über die ich schließlich schreiben werde.«
    »Ungewöhnlich? Auf welche Weise?«
    »Erstens ist sie von Geburt an blind.«
    »Verwendest du den ONT&R?«
    »Ja. Sie will Schöpfer werden.«
    »Verdammt! – Du bist dir der Gefahr einer eventuellen schädlichen Rückkopplung bewußt?«
    »Natürlich.«
    »Hast du von dem unglücklichen Pierre gehört?«
    »Nein.«
    »Gut, dann wurde es erfolgreich vertuscht. Pierre war Philosophiestudent an der Pariser

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