Herr der Träume
um zu wissen, daß Render bereits gegangen war. Er schlief nie lange. Sie rieb sich die Augen, streckte sich, drehte sich auf die Seite und stützte sich auf einen Ellbogen auf. Mit zusammengekniffenen Augen sah sie auf die Uhr auf dem Nachttisch und griff gleichzeitig nach einer Zigarette und dem Feuerzeug.
Als sie inhalierte, merkte sie, daß der Aschenbecher fehlte. Zweifellos hatte Render ihn weggestellt, weil er es nicht mochte, wenn man im Bett rauchte. Mit einem Seufzer glitt sie aus dem Bett und zog sich den Morgenrock über, ehe die Asche zu lang wurde.
Sie haßte es aufzustehen, aber hatte sie es einmal getan, so betrachtete sie den Tag als begonnen.
»Soll ihn der Teufel holen.« Sie lächelte. Sie hatte das Frühstück im Bett zu sich nehmen wollen, aber jetzt war es zu spät.
Als sie nachdachte, was sie anziehen sollte, bemerkte sie ein fremdes Paar Skier in der Ecke. Auf dem einen war ein Blatt Papier aufgespießt. Sie nahm es herab.
»Leistest du mir Gesellschaft?« war darauf gekritzelt.
Sie schüttelte nachdrücklich den Kopf und fühlte gleichzeitig ein gewisses Bedauern. Zweimal in ihrem Leben war sie auf Skiern gestanden, und sie fürchtete sich vor ihnen. Sie fühlte, sie sollte es eigentlich wieder einmal versuchen, nachdem er ihr mit den Châteaux zu Willen gewesen war, aber sie konnte nicht einmal den Gedanken an eine Abfahrt ertragen. Zweimal war sie in einer Schneewächte gelandet, und ein Schwindelgefühl hatte sie gepackt.
Sie duschte, zog sich an und ging hinunter frühstücken.
Als sie den großen Aufenthaltsraum passierte und einen Blick hinein warf, sah sie, daß bereits alle neun Feuer in den Kaminen brannten. Einige Skifahrer mit geröteten Gesichtern hielten ihre Hände vor die Flammen im zentralen Kamin. Aber es waren nicht viele Leute zu sehen. In der Kleiderablage standen nur wenige Paare tropfender Skischuhe; bunte Mützen hingen an den Haken, feuchte Skier lehnten in einer Ecke neben der Tür. Ein paar Leute saßen in Sesseln in der Mitte des Raumes, lasen Zeitungen, rauchten oder unterhielten sich leise. Sie sah niemanden, den sie kannte, und daher machte sie sich auf den Weg zum Speisesaal.
Als sie an der Rezeption vorbeikam, rief der alte Mann, der dort arbeitete, ihren Namen. Sie ging zu ihm hinüber und lächelte.
»Ein Brief«, sagte er und wandte sich zu den Fächern um. »Hier ist er.« Er reichte ihn ihr und fügte hinzu: »Sieht wichtig aus.«
Sie stellte fest, daß er dreimal nachgeschickt worden war. Es war ein dickes, braunes Kuvert, und als Absender stand die Adresse ihres Anwalts.
»Danke.«
Sie setzte sich auf eine Bank neben dem großen Fenster, durch das ein schneebedeckter Park, ein Eislaufplatz und ein gewundener Pfad zu sehen war, auf dem Leute mit ihren Skiern auf den Schultern stapften. Wegen der Helligkeit kniff sie die Augen zusammen und öffnete den Umschlag.
Ja, nun war es endgültig. Dem Brief ihres Anwalts lag eine Kopie der Scheidungsurkunde bei. Sie hatte sich erst vor kurzem dazu entschlossen, ihre legale Verbindung mit Mister Fotlock zu beenden, dessen Namen sie seit fünf Jahren nicht mehr verwendete, als sie sich getrennt hatten. Nun, da sie den Bescheid hatte, wußte sie nicht richtig, was sie damit anfangen sollte. Für den lieben Rendy würde es jedoch eine Bombenüberraschung sein. Sie mußte irgendeinen harmlosen Weg finden, ihm die Information zukommen zu lassen. Sie nahm ihre Schminktasche zur Hand, sah in den Spiegel und übte einen gleichgültig-erwartungsvollen Gesichtsausdruck. Nun, dazu ist auch später noch Zeit, überlegte sie – allerdings nicht viel später. Ihr dreißigster Geburtstag schwebte wie eine dunkle Wolke am Aprilhimmel, also in nur vier Monaten. Naja ... Sie legte etwas Farbe auf die Lippen und überpuderte das Muttermal.
Im Speisesaal sah sie Dr. Bartelmetz, der vor einem enormen Berg Rührei, ganzen Ketten von dunklen Würsten, einer Unmenge von gerösteten Brotscheiben und einer halbvollen Flasche Orangensaft saß. Auf einer Warmhalteplatte stand eine Kanne dampfenden Kaffees. Er beugte sich beim Essen leicht vor, und seine Gabel rotierte wie ein Windmühlenflügel.
»Guten Morgen«, sagte sie.
Er sah auf.
»Miß DeVille – Jill ... Guten Morgen.« Er wies auf den Stuhl ihm gegenüber. »Bitte leisten Sie mir Gesellschaft.«
Sie folgte seiner Aufforderung, und als der Kellner kam, bestellte sie: »Ich nehme dasselbe, jedoch nur etwa ein Zehntel davon.«
Sie wandte sich wieder an
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