Herr der Träume
geben?« fragte sie.
»Ja.«
Sie bog auf einen kleinen Pfad ab, der zu einem Bauernhaus führte, öffnete die Eingangstür und trat ein. Render folgte ihr lächelnd.
Schwärze.
Total und schwarz, wie die Schwärze absoluter Leere nur sein kann.
Im Bauernhaus befand sich überhaupt nichts.
»Was ist los?« fragte sie von irgendwoher.
»Unbefugter Ausflug in die Szenerie«, antwortete Render. »Ich war im Begriff, den Vorhang fallen zu lassen, und du hast beschlossen, daß die Vorstellung weitergehen sollte. Daher habe ich dir diesmal jegliche Stütze vorenthalten.«
»Ich kann mich nicht immer beherrschen«, sagte sie. »Es tut mir leid. Gehen wir zurück. Ich habe den Impuls unterdrückt.«
»Nein, wir gehen weiter«, widersprach Render. »Licht!«
Sie standen auf einem hohen Hügel, und die Fledermäuse, die vor dem Mond vorbeiflitzten, waren aus Metall. Der Abend war kalt, und von einem Abfallplatz her ertönte ein rauhes, krächzendes Geräusch. Die Bäume waren Metallpfosten mit angenieteten Zweigen. Das Gras unter ihren Füßen bestand aus grünem Kunststoff. Eine gigantische, leere Autobahn zog sich am Fuß des Hügels dahin.
»Wo ... wo sind wir?« fragte sie.
»Du hast dein Lied meines Ichs bekommen«, sagte er, »mit allem Extra-Narzissismus, den du hineinstopfen konntest. Das ist hier nichts Schlechtes – bis zu einem gewissen Grad. Aber du hast es ein wenig zu weit getrieben. Ich bin der Ansicht, daß ein gewisser Ausgleich notwendig geworden ist. Ich kann es mir nicht leisten, während jeder Sitzung zu spielen.«
»Was hast du vor?«
»Das Lied vom ›Nicht-Ich‹? « antwortete er und klatschte in die Hände. »Gehen wir.«
... Wo der Staub nach Wasser schreit, sagte irgendwo eine Stimme, und sie gingen hustend.
... Wo der verunreinigte Fluß kein Leben kennt, sagte die Stimme, und der Schaum darauf die Farbe von Rost hat.
Sie gingen neben dem stinkenden Fluß, und sie hielt sich die Nase zu. Trotzdem roch sie den Gestank.
... Wo der Wald nicht mehr ist.
Sie gingen zwischen den Baumstümpfen, traten auf zerbrochene Zweige, und die vertrockneten Blätter raschelten unter ihren Füßen. Das Antlitz des Mondes über ihnen war zernarbt, und er hing an einem dünnen Faden von der schwarzen Decke. Die Erde unter den Blättern wies Risse auf.
... Wo sich das Blut des gequälten Landes in die leeren Schächte des Bergwerks ergießt.
Maschinenteile lagen um sie herum. Erd- und Steinhügel lagen nackt in der Nacht. Die großen Löcher im Boden waren mit blutähnlichen Absonderungen gefüllt.
... Sing, o Aluminiummuse, die Du am Anfang den Hirten lehrtest, wie sich der Fortschritt aus dem Chaos entwickelte; oder wenn Dich der Tod mehr erfreut, so betrachte den größten Friedhof!
Sie befanden sich wieder auf dem Hügel und blickten auf den Abfallplatz hinab. Er war erfüllt von Traktoren, Kränen, Baggern und Lastwagen. Verbogenes Metall, rostiges Metall, zerbrochenes Metall türmte sich hoch auf. Rahmen, Platten, Federn und Träger lagen umher.
»Was ...?« begann sie.
»Schrott«, sagte er. »Diesen Aspekt hat Walt nicht besungen. Das sind die Dinge, die seine Grashalme zertrampeln, die Dinge, die sie mitsamt den Würzen ausreißen.«
Sie schritten über die Stätte der toten Maschinen.
»Diese Maschine hat einen indianischen Grabhügel eingeebnet und jene den ältesten Baum des Kontinents gefällt. Diese hat einen Kanal gegraben und einen Fluß umgeleitet, wodurch ein grünes Tal zu einer Einöde wurde. Diese zerbrach die Mauern der Häuser unserer Vorfahren, und jene hob die Träger auf die monströsen Türme hinauf, die sie ersetzten ...«
»Du bist sehr ungerecht«, klagte sie.
»Natürlich«, gab Render zurück. »Man muß immer über das hinausgehen, was man zeigen will. Erinnere dich, ich habe dich dorthin gebracht, wo der Panther auf dem Ast auf und ab geht, wo die Klapperschlange sich auf einem Felsen sonnt und wo der Alligator im Schlamm der Bucht schläft. Erinnerst du dich, was ich antwortete, als du fragtest: ›Warum solche Dinge?‹«
»Du sagtest: ›Du darfst nicht nur das Idyll sehen‹.«
»Richtig. Und nachdem du wieder so begierig warst, die Sache in die eigene Hand zu nehmen, dachte ich, ein wenig mehr Schmerz und etwas weniger Freude würden meine Stellung stärken. Ich nehme an, du hast bereits bemerkt, wenn etwas schiefgeht.«
»Ja«, sagte sie, »ich weiß. Aber dieses Bild von der Mechanisierung, die den Weg zur Hölle ebnet ... Wie ist es wirklich –
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