Herr der Träume
schwarz oder weiß?«
»Grau«, gab er zur Antwort. »Komm noch etwas weiter!«
Sie gingen um einen Haufen von Dosen, Flaschen und Bettfedern herum. Er bückte sich unter ein vorstehendes Metallstück und öffnete eine Luke.
»Sieh, was sich im Bauch dieses großen Tankwagens versteckt befindet!«
Ein schwachgrünes Glühen drang aus einer Werkzeuglade hervor, die er geöffnet hatte.
»Oh ...«
»Der Heilige Gral«, verkündete er. »Der Kreis schließt sich. Wenn er an seinen Anfang zurückkehrt, beginnt die Spirale. Wie kann ich urteilen? Der Gral mag in einer Maschine verborgen sein. Ich weiß es nicht. Die Dinge verändern sich mit der Zeit. Freunde werden Feinde, Böses wird zum Guten. Aber ich werde die Zeit lange genug anhalten, um dir rasch eine Geschichte zu erzählen, nachdem du mich mit der von Dädalus, dem Griechen, unterhalten hast. Ich erfuhr sie von einem Patienten namens Rothman, einem Forscher der Kabbala. Dieser Gral, den du vor dir siehst, dieses Symbol des Lichtes und der Reinheit, des Heiligen und der himmlischen Größe – woher stammt er?«
»Man weiß es nicht.«
»Ah, aber es gibt eine Überlieferung, eine Legende, die Rothman kannte: Der Gral wurde von Melchisadek, dem Hohenpriester von Israel, übergeben und sollte in die Hände des Messias gelangen. Aber woher hatte Melchisadek ihn? Er schnitt ihn aus einem riesigen Smaragd, den er in der Wildnis fand, ein Smaragd, der aus der Krone des Ismael, des Engels der Finsternis, gefallen war, als er aus dem Himmel gestürzt wurde. Da hast du den Gral: aus dem Licht in die Finsternis, in das Licht, in die Finsternis, in – wer weiß, wohin? Was ist der Sinn des Ganzen? Lebe wohl, Gral.«
Er schloß den Deckel, und alles wurde dunkel.
Als er weiter durch die Winchester-Kathedrale wanderte, dachte er an die folgende Sitzung. Er erinnerte sich an die fast adamhafte Rolle, die er nicht ganz widerwillig gespielt hatte, als er alle Tiere mit Namen genannt hatte, die an ihnen vorübergezogen waren. Er war sich wie ein Hirte vorgekommen, als er, nachdem er seine Kenntnisse in einem Botanikbuch aufgefrischt hatte, die Blumen auf dem Felde geschaffen und benannt hatte.
Bisher waren sie den Städten und den Maschinen ferngeblieben. Ihre Emotionen waren immer noch zu heftig beim Anblick der einfachen, sorgfältig gebotenen Gegenstände, als daß er es gewagt hätte, sie in eine so komplizierte und chaotische Wildnis zu stürzen. Er würde ihre Stadt langsam aufbauen.
Etwas flog mit einem Überschallknall hoch über der Kathedrale hinweg. Render nahm Jill für einen Augenblick an der Hand und lächelte, als sie zu ihm aufsah. Jill wußte, daß sie fast eine Schönheit war, und setzte normalerweise all ihr Können ein, um eine solche zu sein; heute aber hatte sie ihr Haar einfach straff zurückgezogen und zu einem Knoten gebunden, Lippen und Augen waren ungeschminkt und die Ohren winzig und weiß und leicht gespitzt.
»Beachten Sie die gerillten Kapitelle«, flüsterte er. »Die primitive Kannelüre nahm etwas vorweg, was später zu einem verbreiteten Motiv werden sollte.«
»Pah!« sagte sie.
»Pst!« mahnte eine Frau in der Nähe.
Als sie später zu ihrem Hotel zurückschlenderten, fragte Render: »Genug von Winchester?«
»Genug von Winchester.«
»Zufrieden?«
»Zufrieden.«
»Gut, dann können wir am Nachmittag abreisen.«
»Einverstanden.«
»In die Schweiz ...«
Sie blieb stehen und spielte mit einem Knopf an seinem Mantel.
»Könnten wir nicht zuerst ein oder zwei Tage ein altes Châteaux besichtigen? Man braucht ja nur den Kanal zu überqueren, und du könntest alle Weine der Gegend kosten, während ich ...«
»Okay«, stimmte er zu.
Sie blickte ein wenig verwundert auf.
»Was? Keine Einwände?« Sie lächelte. »Wo ist dein Kampfgeist geblieben? Du läßt dich von mir so herumkommandieren?«
Sie nahm ihn am Arm, und als sie weitergingen, sagte er: »Ich habe den Geist aufgegeben, der stets verneint. Pax vobiscum! Auf nach Frankreich. Alors!«
»Lieber Rendy, es ist ja nur auf ein oder zwei Tage ...«
»Amen«, sagte er.
Also taten sie es, aber als sie am Morgen des dritten Tages von den Burgen in Spanien zu sprechen begann, stellte er fest, daß, während Psychologen tranken und nur zornig wurden, Psychiater bekanntlich tranken, zornig wurden und Dinge zerbrachen. Sie faßte dies als Drohung auf und gab seinem Wunsch nach, Ski fahren zu wollen.
Frei! Render schrie es fast hinaus.
Das Herz klopfte ihm bis
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