Herr der Welt
mich. Werde ich den unsichtbaren Kapitän wohl einmal zu sehen bekommen, und wird er mir die Freiheit wiedergeben? Oder sollte es gelingen, sie mir gegen seinen Willen zu verschaffen?… Das würde von den Umständen abhängen. Doch wenn sich die »Epouvante« immer in großer Entfernung von jedem Ufer hält oder wenn sie gar untertaucht, wie wäre es da möglich, sie zu verlassen? Mußte ich denn auf jeden Fluchtversuch verzichten, wenn sie sich nicht gelegentlich zum Automobil umwandelte?
Vorn auf diesem steht der Kapitän mit dem Revolver in der Hand. (S. 130.)
Und doch – warum sollte ich’s nicht gestehen – von hier zu entweichen, ohne etwas von den Geheimnissen der »Epouvante« durchschaut zu haben, mit dem Gedanken konnte ich mich nicht befreunden!… Denn hatte ich mich bisher wegen meiner neuen Lage zu beglückwünschen – hätte ich dabei doch bald das Leben eingebüßt – und bot die Zukunft eigentlich auch mehr schlechte als gute Aussichten… jedenfalls war die ganze Angelegenheit jetzt schon um einen Schritt vorwärts gekommen. Freilich, wenn ich mit meinesgleichen nicht wieder in Verbindung treten konnte, wenn ich wie der in Acht und Bann erklärte »Herr der Welt« gleichsam außerhalb der Menschheit stand…
Die »Epouvante« fuhr immer nach Nordosten, d.h. in der Längsrichtung des Eriesees weiter. Sie bewegte sich jetzt nur mit mittlerer Geschwindigkeit, denn wäre diese soweit gesteigert worden, wie das möglich war, so hätte es nur weniger Stunden bedurft, das nordöstliche Ende des Sees zu erreichen.
Hier hat der Eriesee aber keinen andern Ausgang als den Niagarastrom, der ihn mit dem Ontariosee verbindet. Etwa fünfzehn Meilen unterhalb Buffalo, einer bedeutenden Stadt des Staates New York, ist dieser jedoch durch die berühmten Wasserfälle gesperrt. Steuerte die »Epouvante« nicht den Detroitfluß hinauf so konnte sie dieses Gebiet nicht verlassen, ohne einen Weg über Land einzuschlagen.
Nun suchte ich den Lukendeckel über meinem Kopfe hinauszuheben. (S. 132.)
Die Sonne war vor kurzem durch den Meridian gegangen. Das Wetter war schön, die Hitze zwar ziemlich stark, doch erträglich infolge der Brise, die über das Wasser strich. Die Ufer des Sees blieben, auf der kanadischen wie auf der amerikanischen Seite, noch immer unsichtbar.
Geschah es vom Kapitän wohl mit Absicht, sich mir nicht zu zeigen?… Hatte er so besondere Gründe, sich nicht sehen zu lassen?… Deutete diese Vorsicht vielleicht darauf hin, daß er beschlossen hatte, am Abend, wenn die »Epouvante« an einem Ufer angelegt hätte, mich wieder in Freiheit zu setzen? Nein, wahrscheinlich nicht.
Gegen zwei Uhr Nachmittag entstand ein leichtes Geräusch, der Deckel der mittleren Luke hob sich, und die so ungeduldig erwartete Persönlichkeit erschien auf dem Deck.
Ich muß freilich sagen: er wendete mir nicht mehr Aufmerksamkeit zu als seine Leute, sondern ging nach dem Steuermann hin und nahm auf dem Hinterdeck Platz. Nach wenigen, gedämpften Tones gewechselten Worten verschwand der Steuermann im Maschinenraume.
Der Kapitän ließ den Blick über den Horizont hin schweifen, warf auch einmal ein Auge auf den vor dem Steuer stehenden Kompaß und veränderte dann ein wenig den Kurs, während die Geschwindigkeit der »Epouvante« zunahm.
Der Mann schien die Fünfzig um einige Jahre überschritten zu haben. Er war mittelgroß, hatte breite Schultern und eine recht aufrechte Haltung, einen mächtigen Kopf, kurze, mehr graue als weiße Haare und weder Schnurr noch Backenbart, nur einen dichten Kinnbart, wie die Amerikaner ihn tragen. Seine Arme und Beine waren muskulös, Ober-und Unterkiefer stark entwickelt, die Brust war breit und – ein charakteristisches Zeichen großer Willenskraft – der Stirn-und Brauenmuskel immer zusammengezogen. Sicherlich hatte er eine eiserne Konstitution, eine unerschütterliche Gesundheit und – wie soll ich sagen? – schon mehr glühende Blutkörperchen unter der derben Haut.
Gleich seinen Gefährten trug der Kapitän die gewöhnliche Seemannskleidung mit einem Wachstuchrock darüber und auf dem Kopfe eine wollene, schirmlose Mütze.
Ich sah ihn an. Er schien meinen Blicken nicht auszuweichen, wenigstens verriet er eine eigentümliche Gleichgültigkeit, als ob er keinen Fremden an Bord hätte.
Brauche ich hier noch hinzuzufügen, daß der Kapitän der »Epouvante« einer von den beiden Männern war, die mir seinerzeit vor meinem Hause in der Long-Street
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