Herr der Welt
weiter.
»Warum verfolgt der Kapitän diesen Weg? fragte ich mich. Er kann doch nicht die Absicht haben, im dortigen Hafen, inmitten einer großen Zahl von Fischerbooten und Handelsschiffen, vor Anker zu gehen. Will er den Eriesee verlassen, so bietet ihm der Niagarastrom doch wirklich keinen Ausgang, denn dessen Fälle sind ja, selbst für einen Apparat wie den seinigen, unüberwindbar. Den einzigen Ausgang bietet der Detroitfluß, und von dem entfernt sich die ›Epouvante‹ offenbar immer weiter.«
Da kam mir der Gedanke: vielleicht will der Kapitän an einer Uferstelle des Eriesees die Nacht abwarten. Dann würde das zum Automobil verwandelte Fahrzeug die Nachbarstaaten schnell durchmessen können.
Gelang es mir nun nicht, während der Fahrt über Land zu entweichen, so war alle Hoffnung verloren, meine Freiheit je wieder zu gewinnen.
Freilich würde ich dabei in Erfahrung bringen, wo dieser »Herr der Welt« sich verbarg und so gut verbarg, daß man sein Versteck noch nie hatte auffinden können… das mußte ich wohl erfahren, wenigstens wenn er mich nicht auf die eine oder andere Weise ausschiffte. Was ich unter »ausschiffen« verstehe, darüber ist sich der geneigte Leser wohl klar.
Die Nordostspitze des Sees war mir sehr gut bekannt, hatte ich doch den Teil des Staates New York, der zwischen dessen Hauptort Albany und der Stadt Buffalo liegt, oft genug besucht. Eine polizeiliche, jetzt drei Jahre zurückliegende Angelegenheit hatte mir Gelegenheit gegeben, die Ufer des Niagara stromauf-und stromabwärts von den Fällen bis zur großen Hängebrücke kennen zu lernen. und die beiden großen Inseln zwischen Buffalo und dem Flecken Niagara-Falls, ferner die Insel Navy und auch Goat-Island (die Ziegeninsel) zu besuchen, die den amerikanischen Fall von dem kanadischen scheidet.
Bot sich mir also eine Gelegenheit zur Flucht, so befand ich mich nicht in mir unbekanntem Lande. Doch würde sich eine solche Gelegenheit auch bieten und – im Grunde – wünschte ich sie denn herbei und würde ich sie dann benutzen? Wie viele Geheimnisse barg noch diese Geschichte, mit der mich ein glücklicher Zufall – oder war’s vielleicht ein unglücklicher? – so eng verknüpft hatte!
Daß sich mir die Möglichkeit böte, eines der Ufer des Niagarastroms zu erreichen, war leider wohl kaum vorauszusetzen. Die »Epouvante« verirrte sich jedenfalls nicht auf diesen abgesperrten Strom und näherte sich wahrscheinlich auch nicht den Ufern des Eriesees. Im Notfalle tauchte sie unter und nachdem sie den Detroitfluß hinabgefahren war, rollte sie, zum Automobil unter der Leitung ihres Chauffeurs verwandelt, über die Landstraßen der Union dahin.
Das waren so die Gedanken, die in mir aufstiegen, während ich den Horizont vergeblich mit den Blicken absuchte.
Und daneben bestand noch immer die unlösbar bleibende Frage: Warum hatte der Kapitän mir jenen Drohbrief zugehen lassen, den der Leser kennt?… Welche Ursache hatte er, mich in Washington zu überwachen? Und endlich, welches Band verknüpfte ihn mit dem Great-Eyry? Zugegeben, daß er durch unterirdische Kanäle in den Kirdallsee gelangen konnte… doch durch jene unübersteigliche Felsumwallung… nein, das nicht!
Am Nachmittage gegen vier Uhr konnten wir, unter Berücksichtigung der Schnelligkeit der »Epouvante« und der unverändert eingehaltenen Fahrtrichtung, kaum noch weiter als fünfzehn Meilen von Buffalo entfernt sein, dessen Silhouette sich bald am nordöstlichen Horizonte erheben mußte.
Tauchten im Laufe unserer Fahrt da und dort Schiffe auf, so kamen sie doch nur in größerer Entfernung von uns vorüber, und den Abstand von ihnen regelte der Kapitän ganz nach seinem Gutdünken. Überdies war die »Epouvante« auf der Seefläche sehr wenig sichtbar und von weiter als einer Meile her kaum zu bemerken.
Inzwischen begannen die das Ende des Eriesees einrahmenden Höhen jenseits von Buffalo langsam aufzusteigen, dieser Trichter, durch den der Eriesee seine Wässer in das Bett des Niagara gießt. An der rechten Seite liegen einige Dünen, und da und dort erheben sich vereinzelte Baumgruppen. Weiter draußen bemerkte ich mehrere Handelsschiffe oder Fischerkulter unter Segel oder unter Dampf.
Am Himmel hin zogen sich an manchen Stellen Rauchstreifen, die von einer leichten Brise weitergetragen wurden.
Woran dachte wohl der Kapitän, als er diesem Hafen zusteuerte?… Die einfachste Klugheit mußte ihm doch verbieten, sich dahinein zu wagen. Jeden Augenblick
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