Herr der zwei Welten
Boden, sodass man nicht wirklich unbequem lag. Sie ließ ihre Gedanken zu dem Tag in der Disco zurückwandern. Dachte an den Blick seiner Augen und an sein Lächeln. Julie vermied es strikt, an sein Geständnis am letzten Tag zurückzudenken. In ihren Erinnerungen sollte er nur der Mann ihrer Träume sein … kein Vampir!
*
Am selben Abend, Stunden vorher.
Als an diesem Abend die Sonne gerade untergegangen war, schlug er die Augen auf. Seit ewigen Zeiten war das die Stunde, in der er erwachte. Er hatte tief geschlafen. Sehr tief! Genauso wie in all den vergangenen Jahren; und das waren sehr viele. Doch dieses eine Mal, heute, war etwas anders gewesen. Anders als sonst!
Er hatte geträumt! Der erste Traum seit … dreihundertundsechzig Jahren! Der Traum war absurd und realistisch zugleich gewesen. Er, Eugeñio Rosé Royo, saß wie versteinert auf seinem Lager. Was war geschehen? Er hatte Julie gesehen. Ihre Stimme vernommen. Es war im Traum gewesen. In Wirklichkeit hatte er sie mehr als sieben Monate nicht mehr gesehen. Er liebte diese junge Sterbliche. Es war ein Gefühl, das etwas völlig Neues in sein Leben gebracht hatte. Aber gerade weil er verstanden hatte, dass er sie liebte, wenn er auch bis heute nicht verstand wieso, durfte er sie nicht mehr wieder sehen. Niemals wieder! Trotzdem hatte er sie, nachdem er Abschied genommen hatte, noch einmal besucht. Er war einfach an der Häuserfront emporgeklettert und über ihren Balkon war er in ihr Wohnzimmer gelangt. Julie hatte geschlafen. Sie hatte auf der Couch gelegen, zusammengerollt, wie ein kleines Kind, und ihr Anblick hatte ihm das Herz zerrissen. Sie hatte ihre Anlage nicht ausgeschaltet und ein Song spielte immer und immer wieder, während sie schlief. Er erkannte den Song sofort.
When I die – zu diesem Song hatten sie getanzt. Irritiert hatte er ihr schlafendes Gesicht beobachtet; unfähig sich von ihrem Anblick zu lösen. Aus den Augenwinkeln hatte er den Spiegel, der in ihrem Flur hing, sehen können. Etwas war darauf geschrieben worden. Er sah genauer hin. In einem roten Herz standen Buchstaben, die nicht dort stehen konnten.
Mit rotem Marker hatte Julie dort auf den Spiegel geschrieben: Eugeñio- Liebe für immer!
Das ergab keinen Sinn. Er hatte ihr doch sein dunkles Geheimnis anvertraut. Wie konnte sie ihn dann noch lieben?
In jenem Augenblick hatte er entschieden, sie wirklich niemals wieder zu sehen. Er durfte sie einfach nicht in Gefahr bringen! Er musste die Stadt verlassen. Nein, das sollte nicht genügen! Er verließ das Land.
Seit dieser Zeit lebte er in Spanien. Zum ersten Mal hatte er wieder dieses Land gewählt, dass er verlassen hatte, als er zum Vampir wurde. Er hatte einfach das Gefühl, die Luft Spaniens würde es ihm leichter machen, diese Frau zu vergessen. Er wusste nur zu genau: solange er an sie dachte, solange war sie in Gefahr!
Und nun das! Heute hatte er von ihr geträumt. Obwohl das eigentlich unmöglich war. Er war ein Vampir, kein Sterblicher! Er träumte nicht! Und doch hatte er sie in einem Traum gesehen! Sie hatte ihn gerufen! Ihr Ruf war nicht wie sonst, wenn er wach war. Da hatte sie ihn aus Liebe gerufen. Hatte seinen Namen dem Nachtwind anvertraut. Ja, auch das wusste er. Leider. Denn jedes Mal wenn er ihren Ruf gehört hatte, auch aus dieser Entfernung, hatte es seine ganze Kraft gekostet, nicht zu ihr zu eilen und sie in seine Arme zu ziehen. Nur sein Wissen, dass eine solche Umarmung nur zu leicht tödlich für sie ausgehen konnte, hatte ihn davon abgehalten. Aber dieses Mal, in seinem Traum, hatte ihr Ruf ängstlich geklungen. Sie hatte ihn gerufen, ihr zu helfen! Ihn, das Monster, den Vampir! Aus ewiger Entfernung hatten die Angst ihres Herzens und ihre Verwirrung seinen Geist erreicht. Das war geschehen, zu einer Zeit, in welcher der Vampir den Schlaf des Todes schlief; sein Geist verschlossen war. Trotzdem war es geschehen! Er bildete es sich nicht ein. Julie!
Diese junge Sterbliche, die es fertiggebracht hatte, sein dunkles Herz zu erreichen, die etwas in sein Herz gepflanzt hatte, von dem er geglaubt hatte, dass es niemals dort wachsen könne. Die Liebe! Etwas schier Unmögliches. Es war unmöglich! Und doch hatte diese ungewöhnliche Frau etwas wahr werden lassen, das für Wesen wie ihn undenkbar war. Niemals hätte er es für möglich gehalten, dass er einmal von einer Sterblichen etwas anderes begehren könnte, als ihr Blut. Ihr Leben. Aber es war so gekommen. Seit dem Tag, als er begriffen hatte,
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