Herr der zwei Welten
verliebt haben! Jedenfalls nicht so sehr, wie sie an jenem Tag in dem Tanzlokal, gedacht hatte. Trotzdem vermisste sie ihn noch immer. Manchmal war es ihr, als spüre sie seine Gegenwart. In den Nächten hatte sie das Gefühl, er liege direkt neben ihr, im selben Bett und träume mit ihr denselben Traum. Julie konnte sich das nicht erklären. Doch so sehr sie auch versuchte sich dagegen zu wehren; es gelang ihr nicht Eugeñio aus dem Kopf zu bekommen.
„Papa, ich vermisse Dich!“ sagte sie in den Spiegel. „Du hättest bestimmt gewusst, ob so etwas möglich ist.“
Julie spielte die Songs, nach denen sie getanzt hatten immer wieder, so oft, dass die Nachbarn sicher schon mit dem Gedanken spielten, die Notrufnummer zu wählen.
Am nächsten Wochenende ging Julie wieder ins Riverboot. Und sei es nur, sagte sie sich selbst, um festzustellen, dass ihre Gefühle nicht echt und ihre Erinnerung falsch war. Um nicht allein zu gehen, hatte sie Tina und Detlef eingeladen. Tina hatte ihrem Mann nichts davon erzählt, dass Julie sich verliebt hatte. Vermutlich wollte sie nicht, dass er ihre Schwester jetzt für total übergeschnappt hielt. Julie hätte kotzen können! Es war in der Tat schon komisch, wie Tina sich benahm. Die ganzen letzten Jahre hatte sie immer wieder versucht, Julie zu ihrem Glück zu verhelfen; so jedenfalls nannte sie die Versuche, sie unter die Haube zu bekommen. Aber diesmal, als Julie selber etwas fühlte, tat Tina ihre Gefühle als Wahnsinn ab. Wenn sie ihre Schwester nicht so sehr lieben würde, hätte sie ihr wohl mehr als nur die Meinung gesagt!
Aber eigentlich, so musste Julie es sich dennoch eingestehen, hatte Tina auch ein wenig Recht; man konnte sich doch nicht in jemanden wirklich verlieben, den man gerade mal ein paar Stunden kannte. Wobei kennen ja auch ein wenig übertrieben war! Doch kaum waren sie im Riverboot angekommen, war Julie weder als Gesprächs- und schon gar nicht als Tanzpartnerin zu gebrauchen. Sie durchlief das Tanzlokal, wie ein Spürhund, der verbissen die Fährte eines verlorenen Wildes suchte, setzte sich dann an die Bar, das Gesicht der Eingangstür zugewandt. Natürlich fiel ihr Verhalten auf.
„Was ist denn mit deiner Schwester los?“ fragte Detlef grade.
„Ach lass sie mal, sie denkt, sie habe sich verliebt.“
Diese Antwort hätte Julie nun wirklich nicht erwartet! Sie fuhr herum und starrte Tina böse an. Doch dann schüttelte sie nur den Kopf und ließ es auf sich beruhen. Hatte sie sich nicht grade erst selber eingestanden, dass sie es ebenso wenig verstanden hätte, wäre sie an Tinas Stelle? So verging der Abend. So sehr sie es sich auch wünschte; Eugeñio tauchte nicht auf.
Nicht an diesem Abend und auch nicht an den nächsten Wochenenden, die Julie nun nicht mehr in Begleitung, aber dennoch im Riverboot verbrachte. Ganze fünf Wochen war es jetzt her, und Julie hatte es schon aufgegeben, auf Eugeñio zu warten. Es war eher zur Gewohnheit geworden, die Samstagabende im Riverboot zu verbringen. Sie hatte dort inzwischen ja auch einige coole Leute kennengelernt, mit denen sie sich die Abende angenehm vertreiben konnte. Mina war eine der jungen Frauen, die sie hier kennengelernt hatte. Schon in den vergangenen Wochen hatten die beiden bemerkt, dass sie gut miteinander auskamen. Sie liebten dieselbe Musik und ihre Unterhaltungen wurden allmählich immer privater. Julie saß an der Bar und hatte grade zwei Cola-Weinbrand bestellt, als sie plötzlich hinter sich ihren Namen hörte.
Blitzschnell fuhr sie herum. Da stand er! Eugeñio lächelte ihr zu. Julies Herz schien auszusetzen. Sie hatte ja schon selbst mit dem Thema abgeschlossen. Aber nun war er da!
„Hallo. Du bist heute alleine hier?“ fragte er.
Im ersten Moment wusste Julie gar nicht, wie sie antworten sollte. Dann blickte sie sich nach Mina um, doch die war wohl grade mal zur Toilette.
Julie nickte also. „Mehr oder weniger.“ Und als sie sah, wie Eugeñio das zweite Glas, das direkt neben ihrem stand, ansah, fügte sie schnell hinzu:
„Eine Freundin. Ich treffe mich hier jetzt öfter mal mit einer Freundin. – Und du? Auch mal wieder auf Feiertour?“ Julie versuchte locker zu sein. Doch irgendwie hatte sie das Gefühl, dass er ihre Maske durchschaute. In dem Moment tauchte Mina auf. Sie hatte einen Typen im Schlepptau, der sich nun als Hendrik vorstellte.
„Du Süße,“ fragte Mina. „Bist du sauer, wenn ich dich für heute mal alleine lasse? Hendrik hat mich grade ins Kino
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