Herr des Chaos
er die vier unnachgiebigen Stellen. Dort war nichts, nicht mehr, als der Schild selbst für ihn erspürbar oder sichtbar war, aber irgendwie konnte er um dieses Nichts herumspüren, eine Form spüren. Wie Knoten. In einem Knoten war stets Platz zwischen den Fäden, wie fest er auch gezogen war, Spalte, feiner als ein Haar, wo nur Luft hindurchgelangte. Langsam, so sehr langsam, tastete er sich in einen dieser Spalte vor, drückte durch äußerst winzige Risse zwischen etwas, das anscheinend überhaupt nicht vorhanden war. Langsam. Wie lange würde es dauern, bis die anderen zurückkehrten? Wenn sie wieder anfingen, bevor er einen Weg durch dieses gewundene Labyrinth gefunden hatte... Langsam. Und plötzlich konnte er die Quelle spüren, als hätte er sie mit einem Fingernagel gestreift. Nur mit dem äußeren Rand eines Fingernagels. Saidin war noch jenseits von ihm - der Schild war noch immer da -, aber er konnte in Lews Therin Hoffnung aufwallen spüren. Hoffnung und Verzagtheit. Zwei Aes Sedai hielten noch immer an der Barriere fest, waren sich immer noch bewußt, was sie festhielten.
Rand hätte nicht erklären können, was er als nächstes tat, obwohl Lews Therin erklärt hatte, wie er es tun mußte, zwischen einzelnen Ausflügen in seine eigenen verrückten Vorstellungen, zwischen hoch aufbrausendem Zorn und Wehklagen über seine verlorene Ilyena, zwischen Geplapper, daß er zu sterben verdiene, und Schreien, daß er nicht zulassen würde, daß sie ihn zerbrachen. Es war, als beuge er, was er durch den Knoten ausgestreckt hatte, als beuge er es, so sehr er konnte. Der Knoten widerstand. Er erzitterte. Und dann brach er auf. Da waren nur noch fünf. Die Barriere wurde dünner. Er konnte spüren, wie sie schwächer wurde. Eine unsichtbare Wand, die jetzt nur noch fünf anstatt sechs Ziegelsteine dick war. Die beiden Aes Sedai würden es auch gespürt haben, obwohl sie vielleicht nicht genau verstanden, was geschehen war. Bitte, Licht, nicht jetzt. Noch nicht.
Schnell, fast hektisch, griff er die verbliebenen Knoten nacheinander an. Ein zweiter öffnete sich - der Schild wurde dünner. Es ging jetzt schneller, mit jedem ein wenig mehr, als lerne er den Weg hindurch, wenn es auch jedesmal anders war. Der dritte Knoten war gelöst. Und eine dritte unnachgiebige Stelle erschien. Vielleicht wußten die Aes Sedai nicht, was er tat, aber sie würden nicht einfach dasitzen, während der Schild immer schwächer wurde. Hektisch warf sich Rand auf den vierten Knoten. Er mußte ihn lösen, bevor sich eine vierte Schwester in den Schild einbrachte. Vier könnten in der Lage sein, ihn zu halten, was immer er tat. Den Tränen nahe, kämpfte er sich durch die verästelten Windungen, glitt zwischen Nichts. Er beugte es in Panik, und der Knoten platzte. Der Schild blieb, wurde aber jetzt nur noch von dreien gehalten. Wenn er sich nur schnell genug bewegen konnte.
Als er nach Saidin griff, war die unsichtbare Barriere noch immer da, aber sie schien nicht mehr aus Stein oder Ziegeln zu bestehen. Sie gab nach, als er dagegenpreßte, neigte sich unter seinem Druck, neigte sich, neigte sich. Plötzlich riß sie vor ihm entzwei wie zerschlissener Stoff. Die Macht erfüllte ihn, und er ergriff jene drei nachgiebigen Stellen und zerschmetterte sie unbarmherzig mit Fäusten aus Geist. Abgesehen davon vermochte er noch immer nur dort die Macht zu lenken, wo er etwas sah, und alles, was er jetzt schwach erkennen konnte, war das Innere der Kiste, soweit er sie mit dem Kopf zwischen den Knien sehen konnte. Bevor er seine Arbeit mit den Fäusten aus Geist auch nur beendet hatte, lenkte er die Macht Luft. Die Kiste platzte mit lautem Knall von ihm ab.
Frei, keuchte Lews Therin, und es war ein Echo Rands eigener Gedanken. Frei. Oder vielleicht anders herum.
Sie werden bezahlen, grollte Lews Therin. Ich bin der Herr des Morgens.
Rand wußte, daß er sich jetzt noch schneller bewegen mußte, schnell und heftig bewegen mußte, aber zunächst kämpfte er darum, sich überhaupt bewegen zu können. Da die Muskeln jeden Tag seit wer weiß wie langer Zeit mißhandelt worden waren, als er jeden Tag in die Kiste gepfercht worden war, schrien sie auf, als er sich mit zusammengebissenen Zähnen behutsam auf Hände und Knie aufrichtete. Es war ein ferner Schrei, der Schmerz eines anderen, aber er konnte diesen Körper nicht dazu bringen, sich schneller zu bewegen, wie stark er sich auch durch Saidin fühlte. Leere dämpfte die Empfindungen, aber etwas
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