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Herr des Lichts

Herr des Lichts

Titel: Herr des Lichts Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Roger Zelazny
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Mensch benennt diese Träume und vermeint das Wesen zu erfassen. Er weiß nicht, daß er nur das Unwirkliche beschwört. Diese Steine, diese Wände, diese Körper, die ihr um euch seht, sind Mohn, sind Wasser, sind Sonne. Sie sind die Träume des Namenlosen. Sie sind gleichsam Feuer.
    Zuweilen kann es einen Träumer geben, der sich seines Träumens bewußt ist. Vielleicht vermag er den Stoff, aus dem die Träume sind, etwas zu beeinflussen, vielleicht vermag er ihn seinem Willen gefügig zu machen. Vielleicht erwacht er auch zu größerer Selbsterkenntnis. Wenn er den Pfad der Selbsterkenntnis geht, ist seine Herrlichkeit groß. Für alle Zeit wird er den Sternen gleich sein. Fällt seine Wahl aber auf den Pfad der Tantras, verbindet er Samsara und Nirwana, durchschaut er die Welt, in der er auch fortan lebt - so ist dieser unter den Träumern ein Mächtiger. Ein Mächtiger zum Guten oder zum Üblen, je nach unserer Anschauung der Dinge. Doch sind auch diese Bezeichnungen bedeutungslos. Sie liegen außerhalb der Namen des Samsara.
    Im Samsara verweilen jedoch heißt, sich den Werken jener aussetzen, die Mächtige unter den Träumern sind. Sind sie Mächtige zum Guten, wird es eine goldene Zeit. Sind sie Mächtige zum Üblen, wird es eine Zeit der Finsternis. Der Traum kann sich in einen Nachtmahr verwandeln.
    Es steht geschrieben, daß Leben Leiden heißt. Es ist dies so lehren die Weisen -, weil der Mensch seine Bürde, sein Karma abarbeiten muß, ehe er Erleuchtung erlangen kann. Deswegen lehren die Weisen auch: Welchen Nutzen zieht ein Mensch daraus, inmitten eines Traums gegen das zu kämpfen, was sein Los ist, gegen das, was sein Pfad ist, dem er folgen muß, wenn er Befreiung erringen will? Im Licht der Ewigkeitswerte, so lehren die Weisen, ist alles Leiden ein Nichts; in den Begriffen des Samsara, lehren die Weisen, führt es zu dem, was wir das >Gute< nennen. Welches Recht hat dann aber ein Mensch, gegen jene anzukämpfen, die Mächtige zum Üblen sind?«
    Einen Augenblick schwieg er. Höher hob er den Kopf.
    »Heute nacht hat der Herr des Scheins unter Euch geweilt - Mara, ein Mächtiger unter den Träumern, ein Mächtiger zum Üblen. Er begegnete einem anderen, der auf andere Art als er mit dem Stoff zu arbeiten vermag, aus dem die Träume sind. Er traf mit Dharma zusammen, dem es gegeben ist, einen Träumer aus seinem Traum zu reißen. Sie kämpften gegeneinander, und Mara-Herr ist nicht mehr. Doch warum kämpften sie - Todesgott und Zauberer? Ihr sagt, ihr Ratschluß ist unerforschlich, denn es ist ein Ratschluß der Götter. Doch das ist nicht die Antwort.
    Die Antwort, die Rechtfertigung ist für Götter und Menschen dieselbe. Gut oder übel, so lehren die Weisen, bleibt sich gleich, denn beides kommt aus dem Samsara. Hört auf die Weisen, die unser Volk seit Menschengedenken unterrichten! Hört auf sie, aber denkt dabei an etwas, von dem die Weisen nicht sprechen! Dieses Etwas ist >SchönheitSchönheit< ist nur ein Wort - aber blickt hinter dieses Wort und erkennt den Pfad des Namenlosen! Und was ist dieser Pfad des Namenlosen? Es ist der Pfad des Traums. Und weshalb träumt das Namenlose? Niemand, der im Samsara lebt, weiß darauf eine Antwort. Und da wir darauf keine Antwort wissen, stellen wir eine andere Frage: Was träumt das Namenlose?
    Das Namenlose, an dem wir alle teilhaben, träumt die Form. Und welches ist die höchste Eigenschaft, der die Form innewerden kann? Es ist Schönheit. So ist das Namenlose ein Künstler. Die Frage ist also keine Frage von Gut und Böse, sondern eine der Ästhetik. Gegen jene zu kämpfen, die unter den Träumern Mächtige sind, Mächtige zum Üblen, Mächtige zum Häßlichen, heißt nicht, wie die Weisen es uns gelehrt haben, für etwas zu kämpften, das in den Begriffen des Samsara oder Nirwana bedeutungslos ist, sondern heißt vielmehr kämpfen für das symmetrische Träumen der Träume, für ein Träumen in den Begriffen von Rhythmus und Aussage, von Harmonie und Widerspruch, aus deren Maß sich die Schönheit eines Dings ergibt. Doch davon lehren die Weisen nichts. Diese Wahrheit, sie ist so einfach, daß die Weisen sie offenbar übersehen haben. Die Ästhetik dieser Stunde gebietet es mir deshalb, eure Aufmerksamkeit darauf zu lenken: Gegen die Träumer - seien sie Götter oder Menschen - zu kämpfen, die das Häßliche träumen, kann nur bedeuten, den Willen des Namenlosen zu tun. Dieser Kampf wird auch Leiden mit sich bringen, und wer sie erduldet,

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