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Herr des Lichts

Herr des Lichts

Titel: Herr des Lichts Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Roger Zelazny
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dessen karmische Bürde wird dabei leichter, so wie sie leichter wird, wenn er das Häßliche erduldet; aber das Dulden, das der Kampf mit sich bringt und das ich euch lehre, dient einem höheren Zweck im Licht der ewigen Werte, von denen die Weisen so oft zu uns sprechen.
    Deshalb sage ich euch, die Ästhetik dessen, was sich heute abend vor euren Augen ereignet hat, war von einer hohen Ordnung. Ihr könnt mich fragen: Wie will ich wissen, was schön und was häßlich ist, und wie soll ich mein Handeln ausrichten? Ich sage euch: Diese Frage müßt ihr selbst beantworten. Doch um sie beantworten zu können, müßt ihr zunächst alles vergessen, was ich gesagt habe, denn ich habe nichts gesagt. Das Namenlose ist es, bei dem ihr verweilen sollt.«
    Er hob seine rechte Hand und neigte seinen Kopf.
    Yama stand auf, Ratri stand auf, Tak erschien auf einem Tisch.
    Zu viert schritten sie hinaus, in dem Bewußtsein, die Maschinerie des Karma überlistet zu haben - zumindest eine Zeitlang.
    Sie wanderten durch die beißende Helligkeit des Morgens über ihnen die Brücke der Götter. Hohe Farnwedel, noch naß vom Regen der Nacht, glitzerten zu beiden Seiten des Trampelpfads. Die Baumwipfel und die Gipfel der fernen Berge kämmten durch die aufsteigenden Nebelschwaden. Der Tag war wolkenlos. Die matten Morgenbrisen führten noch einen Hauch nächtlicher Kälte mit sich. Das Schnalzen und Summen und Zirpen des Dschungels begleitete die Mönche auf ihrem Marsch. Das Kloster, das sie hinter sich gelassen hatten, wurde nun schon durch den dichten Wuchs der Baumkronen halb verdeckt; hoch droben in der Luft signierte eine Schlangenlinie aus Rauch das Azur des Himmels.
    In der Mitte des vorwärtsrückenden Zuges, zu dem sich die Mönche, die Gefolgsleute und einige wenige Krieger der Leibwache formiert hatten, trugen Ratris Diener die Sänfte der Göttin. Sam und Yama gingen mit in der Spitzengruppe der Schar. Tak folgte dem Zug. Geräuschlos und unsichtbar glitt er durch das Laub und durch die Zweige.
    »Der Scheiterhaufen lodert noch«, sagte Yama.
    »Ja.«
    »Sie verbrennen einen Wanderer, der einem Herzanfall erlegen ist, während er im Kloster Rast machte.«
    »So ist es.«
    »Dafür, daß du kaum Zeit zur Vorbereitung hattest, war die Predigt ausgesprochen überzeugend.«
    »Danke.«
    »Glaubst du wirklich an das, was du gepredigt hast?«
    Sam lachte. »Ich bin sehr leichtgläubig, was meine eigenen Worte anbetrifft. Ich glaube alles, was ich sage, obwohl ich weiß, daß ich ein Lügner bin.«
    Yama schnaubte. »Trimurtis Rute peitscht noch immer auf den Rücken der Menschheit. Nirriti rührt sich in seinem finsteren Schlupfwinkel und macht die Seewege des Südens unsicher. Hast du die Absicht, auch das vor dir liegende Lebensalter in metaphysischer Versenkung zu verbringen - um eine neue Rechtfertigung für den Kampf gegen deine Feinde zu finden? Deine Rede letzte Nacht hörte sich an, als ob du von neuem über das Warum nachdenken wolltest, statt über das Wie.«
    »Nein«, sagte Sam. »Ich wollte auf die Zuhörer lediglich eine andere Methode anwenden. Es ist nicht leicht, diejenigen zur Rebellion zu bewegen, für die alle Dinge gleich gut sind. In ihren Gedanken ist kein Raum für das Böse, auch wenn sie selbst es beständig erleiden. Der Sklave auf der Folterbank, der sich sicher ist, daß er wiedergeboren wird - vielleicht als fetter Kaufmann, wenn er sich nur in sein Elend schickt -, seine Einstellung ist eine ganz andere als die eines Menschen, der in dem Bewußtsein lebt, nur ein einziges Dasein zu haben. Der Sklave kann alles und jedes ertragen, denn er weiß ja: wie groß sein Leid gegenwärtig auch sein mag, die Freuden, die die Zukunft für ihn bereithält, werden alles aufwiegen. Wenn nun ein solcher Mensch nicht an Gut und nicht an Böse glauben will vielleicht ist es immerhin möglich, an ihrer Stelle Schönheit und Häßlichkeit in seine Vorstellungswelt einzurücken. Nur die Namen sind ausgetauscht worden.«
    »Dann ist also das jetzt die neue, offizielle Parteilinie?« fragte Yama.
    »Das ist sie«, sagte Sam.
    Yamas Hand schob sich durch einen zuvor unsichtbaren Schlitz in seiner Robe und zog einen Dolch hervor, den er zum Gruß hob.
    »Für die Schönheit«, sagte er. »Nieder mit dem Häßlichen!«
    Eine Welle des Schweigens brach über den Dschungel herein. Alle Laute des Lebens um sie herum erstarben.
    Yama hob eine Hand, während die andere den Dolch zurück in die verborgene Scheide steckte.
    »Halt!«

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