Herr des Lichts
seine zeltartigen Leinwandstücke, aufgeblasen von der salzigen Luft, zu hohen Gipfeln emporwuchsen. Auch die anderen Schiffe, die noch vor Anker lagen, belebten sich jetzt. Die Mannschaften machten sich daran, Ballen, Kisten, Körbe und Fässer mit Weihrauch, Koralle, Öl und den verschiedensten Kleiderstoffen, aber auch Metall, Vieh, Edelholz und Gewürz zu laden oder zu entladen. Er schnupperte den Duft des Handels und lauschte den Flüchen der Seeleute - und bewunderte beides: den Handel, weil er nach Reichtum roch, die Flüche, weil sie seine beiden anderen Vorlieben in sich vereinten, die Theologie und die Anatomie.
Nach einiger Zeit sprach er einen Kapitän aus Obersee an, der zuvor das Löschen von Weizensäcken überwacht hatte und sich jetzt im Schatten der Kistenstapel ausruhte.
»Einen guten Morgen wünsche ich«, sagte er. »Mögen Eure Fahrten von Sturm und Schiffbruch verschont bleiben, und mögen die Götter Euch die Sicherheit des Hafens und einen guten Markt für Eure Fracht bescheren.«
Der so Angesprochene nickte, setzte sich auf einen Packkorb und stopfte sich gemächlich eine kleine Tonpfeife.
»Dank dir, Alter«, sagte er. »Ich habe zwar meine besonderen Tempelgötter, zu denen ich bete, aber ich nehme auch den Segen der anderen gern an. Man kann nie genug gesegnet werden, besonders wenn man ein Seemann ist.«
»Hattet Ihr eine beschwerliche Fahrt?«
»Weniger beschwerlich, als sie hätte sein können«, sagte der Schiffskapitän. »Der glühende Meerberg, das Geschütz des Nirriti, hat seine Strahlen wieder gegen den Himmel abgefeuert.«
»Oh, Ihr seid von Südwesten her gekommen!«
»Ja. Die Chatisthan, aus Ispar-am-Meer. Zu dieser Jahreszeit sind die Winde günstig, allerdings tragen sie dann auch die Asche des Geschützes sehr viel weiter, als man sich vorstellen kann. Sechs Tage lang fiel der schwarze Schnee auf uns herab, und die Gerüche der Unterwelt verfolgten uns, verdarben Speise und Trank, bissen einem die Tränen aus den Augen und brannten in der Kehle. Als wir endlich durch waren, haben wir viele Dankopfer dargebracht. Siehst du, wie schmierig der Schiffsrumpf ist? Du hättest die Segel sehen müssen - schwarz wie das Haar der Ratri!«
Der Fürst beugte sich vor, um das Schiff genauer betrachten zu können. »Aber das Meer war verhältnismäßig ruhig?« fragte er.
Der Seemann schüttelte den Kopf. »In der Nähe der Salzinsel passierten wir in Rufweite einen Kreuzer und erfuhren dabei, daß wir um nur sechs Tage den ärgsten Ausbrüchen des Geschützes entgangen waren. Das Feuer hatte die Wolken verbrannt und einen gewaltigen Wellengang entfesselt, in dem, soviel man auf dem Kreuzer zu berichten wußte, zwei, vielleicht sogar drei Schiffe untergegangen sind.« Der Kapitän lehnte sich zurück und stocherte in seiner Pfeife. »Wie ich schon sagte, ein Seemann kann den Segen der Götter immer brauchen.«
»Ich suche einen Seefahrer«, sagte der Fürst. »Einen Kapitän. Sein Name ist Jan Olvegg, oder vielleicht heißt er inzwischen Olvagga. Kennt Ihr ihn?«
»Ich kannte ihn«, entgegnete der andere, »aber es ist lange her, daß er zur See gefahren ist.«
»Oh? Was ist aus ihm geworden?«
Der Schiffer drehte sich zur Seite und musterte ihn genauer.
»Wer seid Ihr und warum fragt Ihr?« wollte er schließlich wissen, mit einemmal eine respektvollere Anredeform benutzend.
»Mein Name ist Sam. Jan ist ein uralter Freund von mir.«
»Was heißt >uralt«
»Vor vielen, vielen Jahren und weit weg von hier habe ich ihn kennengelernt. Er war damals Kapitän eines Schiffes, das nicht diese Ozeane befuhr.«
Der Schiffskapitän rutschte plötzlich auf seinem Packkorb nach vorn, ergriff ein Stück Holz und warf damit nach einem Hund, der um einen Frachtstapel am anderen Ende des Piers schlich. Der Hund heulte auf und verschwand blitzartig im Schutz eines Lagerhauses. Es war derselbe Hund, der dem Fürsten gefolgt war, seit er die Herberge des Hawkana verlassen hatte.
»Hütet Euch vor den Höllenhunden«, sagte der Kapitän. »Es gibt Hunde und es gibt Hunde - und es gibt Hunde. Drei verschiedene Arten, und in diesem Hafen müßt Ihr sie alle drei aus Eurer Nähe vertreiben.« Dann sah er den Fürsten wieder abschätzend an.
»Eure Hände«, sagte er, dabei mit seiner Pfeife fuchtelnd, »haben noch vor kurzem viele Ringe getragen. Ihre Abdrücke sind noch zu sehen.«
Sam blickte auf seine Hände und lächelte. »Euren Augen entgeht nichts, Schiffer«, antwortete er.
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