Herr des Lichts
ihren sanften Ausdruck verloren. »Wie kommt es, daß Ihr meinen Namen kennt?« fragte er schließlich.
»In Eurem Fieber habt Ihr viel gesprochen.«
»Ja, ich war sehr krank und zweifellos habe ich im Fieber wirr geredet. Ich habe mir in den verfluchten Sümpfen eine Erkältung geholt.«
Tathagata lächelte. »Einer der Nachteile, wenn man allein reist, ist der, daß niemand da ist, um zu helfen, wenn einem etwas zustößt.«
»Da habt Ihr recht«, stimmte der andere zu. Seine Augen schlossen sich wieder, und seine Atemzüge wurden tiefer.
Tathagata, der in der Lotosposition saß, wartete.
Als Rild wieder erwachte, war es Abend geworden. »Durstig«, sagte er. Tathagata reichte ihm Wasser. »Hungrig?« fragte er. »Nein, noch nicht. Mein Magen würde nicht mitmachen.« Er zog sich hoch, stützte sich auf die Ellbogen und musterte seinen Betreuer. »Ihr seid es«, stellte er fest.
»Ja«, erwiderte der andere.
»Was wollt Ihr tun?«
»Euch Essen bringen, wenn Ihr sagt, daß Ihr hungrig seid.«
»Ich meine, danach.« »Über Euren Schlaf wachen, achtgeben, daß das Fieber Euch nicht wieder packt.«
»Das habe ich nicht gemeint.«
»Ich weiß.«
»Nachdem ich gegessen und mich ausgeruht und meine Stärke wiedergewonnen habe - was dann?«
Tathagata lächelte, während er die Seidenschnur von irgendwo unter seiner Robe hervorzug. »Nichts«, entgegnete er, »überhaupt nichts«, und er legte die Schnur in kunstvollen Windungen über Rilds Schulter und zog seine Hand zurück.
Der andere schüttelte den Kopf und lehnte sich zurück. Er griff nach der Schnur und ließ sie in ihrer ganzen Länge durch seine Hände laufen. Er wand sie sich um seine Finger und dann um sein Handgelenk. Er strich sie wieder glatt.
»Sie ist heilig«, sagte er nach einer Weile.
»Es hat den Anschein.«
»Kennt Ihr ihren Verwendungszweck?«
»Natürlich.«
»Warum wollt Ihr dann nichts tun?«
»Ich brauche mich nicht zu rühren oder zu handeln. Alles kommt zu mir. Wenn etwas getan werden muß, dann seid Ihr es, der es tun wird.«
»Ich verstehe nicht.«
»Auch das weiß ich.«
Der Mann starrte in die Schatten über seinem Lager. »Ich werde versuchen, jetzt etwas zu essen«, sagte er.
Tathagata gab ihm Brühe und Brot. Der Kranke zwang es sich hinunter. Dann trank er in großen Schlucken Wasser, und als er das getan hatte, atmete er heftig.
»Ihr habt Euch gegen den Himmel vergangen«, erklärte er.
»Ich bin mir dessen bewußt.«
»Und Ihr habt die himmlische Herrlichkeit einer Göttin geschmälert, deren Hoheit hier niemals vorher in Frage gestellt worden ist.«
»Ich weiß.«
»Aber ich verdanke Euch mein Leben, und ich habe von Eurem Brot gegessen.«
Der Buddha schwieg.
»Deswegen muß ich ein heiliges Gelübde brechen«, schloß Rild. »Ich kann Euch nicht töten, Tathagata.«
»Dann verdanke ich mein Leben der Tatsache, daß Ihr mir das Eure verdankt. Wir sollten davon ausgehen, daß nun niemand niemandem mehr etwas schuldet.«
Rild lachte kurz in sich hinein. »Das ist auch meine Ansicht«, sagte er.
»Was wollt Ihr tun, nun, nachdem Ihr Euren Auftrag preisgegeben habt?«
»Ich weiß es nicht. Meine Sünde ist zu groß, als daß ich zurückkehren könnte. Nun habe auch ich mich gegen den Himmel vergangen, und die Göttin wird sich von meinen Gebeten abwenden. Ich habe sie im Stich gelassen.«
»Wenn es so steht, dann bleibt hier. Ihr werdet dann wenigstens in Eurer Verdammung nicht allein sein.«
»Gut«, stimmte Rild zu. »Was soll ich sonst auch tun?«
Wieder schlief er ein, und der Buddha lächelte.
In den Tagen, die folgten - das Fest nahm seinen Verlauf -, predigte der Erleuchtete zu den Massen, die durch das Purpurgehölz kamen. Er sprach zu ihnen von der Einheit aller Dinge, der großen und der kleinen, vom Gesetz der Ursächlichkeit, vom Werden und Vergehen, von der Scheinhaftigkeit der Welt, vom Funken des Atman, vom Pfad des Heils, der über den Verzicht auf das Ich und die Vereinigung mit dem Ganzen führt; er sprach von Verwirklichung und Erleuchtung und von der Bedeutungslosigkeit der brahmanischen Rituale, die er mit inhaltslosen Gefäßen verglich. Viele lauschten ihm, mancher hörte auf ihn, und einige blieben im Purpurhain, um die Safranrobe der Suchenden anzulegen.
Und jedes Mal, wenn er lehrte, saß der Mann Rild an seiner Seite, gekleidet in schwarzes Tuch und gegürtet mit Leder, die seltsamen dunklen Augen auf den Erleuchteten gerichtet.
Zwei Wochen waren seit Rilds
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