Herr des Lichts
von allem, was ist, von den Wolken, den Bäumen, den Tieren im Wald und allen Menschen, wart Ihr der Schnee auf den Berggipfeln und die Gebeine auf dem Schlachtfeld?«
»Ja«, sagte Tathagata.
»Auch ich kenne die Freude, in allen Dingen zugleich zu sein«, sagte Sugata.
»Ja, ich weiß«, sagte Tathagata.
»Ich verstehe nun auch, warum Ihr einst gesagt habt, daß alles zu Euch kommt. Ihr habt der Welt eine solche Lehre geschenkt, daß ich verstehe, weshalb die Götter neidisch waren. Arme Götter!
Man muß Mitleid mit ihnen haben. Aber Ihr wißt das selbst. Ihr wißt alles.«
Tathagata gab keine Antwort.
Als die Frühlingswinde abermals über das Land wehten, einen ganzen Jahreszyklus nach dem Erscheinen des zweiten Buddha, kam eines Tages vom Himmel herunter ein schreckliches Kreischen.
Die Bürger von Alundil stürzten hinaus auf die Straßen und starrten zum Himmel auf. Die Sudras auf den Feldern ließen ihre Arbeit liegen und blickten empor. In dem großen Tempel auf dem Hügel herrschte jähes Schweigen. In dem Purpurhain jenseits der Stadt hoben die Mönche ihre Köpfe.
Er schoß über die ganze Breite des Himmels, er, der dazu geboren ist, den Wind zu regieren. Aus dem Norden kam er - grün und rot, gelb und braun. Sein Gleiten war wie ein Tanz, sein Weg war die Luft.
Wieder ein Kreischen, und dann das Schlagen mächtiger Schwingen, als er, zu einem schwarzen Punkt schrumpfend, über die Wolken emporstieg.
Wie eine Sternschnuppe fiel er dann in hellen Flammen herunter, all seine Farben leuchtend, lodernd, brennend, und er wuchs und wuchs - unbegreiflich, daß es ein Lebewesen von dieser Größe, dieser Schnelligkeit, dieser Pracht geben konnte.
Halb Geist, halb Vogel. Eine Legende verdunkelte den Himmel.
Oh, Roß des Wischnu, dein Schnabelhieb zerschmettert die Streitwagen.
Der Garuda-Vogel kreiste über Alundil.
Kreiste und glitt über die Felsenhügel hinweg, die sich hinter der Stadt erhoben.
»Garuda!« Das Wort sprang von Lippe zu Lippe, eilte durch die Stadt, die Felder, den Tempel, den Hain.
Wenn er nun nicht allein flog. Es war bekannt, daß nur die Götter den Garuda-Vogel reiten konnten.
Schweigen lag über dem Land. Nach dem Kreischen des Garuda und dem Donnern seiner Schwingen war es nur natürlich, daß alle Stimmen zu einem Flüstern herabgesunken schienen.
Der Erleuchtete stand auf der Straße vor dem Gehölz, seine Mönche um ihn geschart, und blickte in Richtung der Felsenberge.
Sugata trat an seine Seite und blieb dort stehen. »Es ist jetzt genau ein Jahr her.«, sagte er.
Tathagata nickte.
»Rild hat versagt«, sagte Sugata. »Was wird uns der Himmel nun schicken?«
Der Buddha zuckte die Achseln.
»Ich fürchte um Euch, mein Lehrer«, sagte Sugata. »In allen meinen Leben seid Ihr mein einziger Freund gewesen. Eure Lehre hat mir Frieden geschenkt. Warum können sie Euch nicht unbehelligt lassen? Ihr seid der Argloseste unter allen Menschen, und Eure Lehre ist gewiß die Friedfertigste. Welchen Schaden könnt Ihr ihnen schon zufügen?«
Der andere wandte sich ab.
In diesem Augenblick stieg der Garuda-Vogel, die Luft peitschend und den Schnabel zu einem rauhen Schrei geöffnet, wieder über den Hügeln auf, kehrte aber nicht zurück, um über der Stadt zu kreisen, sondern stieß pfeilgerade in den Himmel. Dann zog er in nördlicher Richtung davon. So groß war die Geschwindigkeit seines Flugs, daß er schon Augenblicke später ganz verschwunden war.
»Sein Reiter ist abgestiegen und zurückgeblieben«, meinte Sugata.
Der Buddha trat zurück in den Purpurhain.
Er kam von jenseits der Felsenberge. Er kam zu Fuß.
Er stieß auf einen Paßweg und folgte ihm durch die Felsen. Seine roten Lederstiefel schritten lautlos über die steinige Wegspur.
Das Geräusch fließenden Wassers durchbrach die Stille. Ein kleiner Wasserlauf, der noch nicht zu sehen war, mußte weiter vorn den Pfad kreuzen. Als er den bluthellen Umhang höher um seine Schultern zog, funkelte der Rubinknopf an seinem Krummsäbel, der in seiner Purpurschärpe steckte. Er folgte weiter dem Pfad, der nun in seiner Biegung auf den Fluß zu verlief.
Er umrundete einen Felsvorsprung - und hielt an.
Neben dem Baumstamm, der über das Wasser führte, stand wartend ein Mann.
Die Augen des Wanderers verengten sich für einen Augenblick, dann schritt er weiter. Der Mann am Fluß war schmächtig. Er trug die dunklen Gewänder eines Pilgers, war mit Leder gegürtet und mit einer kurzen, gekrümmten Klinge
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