Herr des Lichts
Genesung vergangen. Der Buddha wanderte gerade meditierend durch den Hain, als der Würger zu ihm trat. Eine Weile gingen sie im Gleichschritt nebeneinander, dann begann Rild zu sprechen:
»Ich habe Euren Lehren gelauscht, Erleuchteter, und ich habe gut zugehört. Lange habe ich über Eure Worte nachgedacht.«
Der andere nickte.
»Ich bin immer ein religiöser Mensch gewesen«, fuhr Rild fort, »niemals sonst wäre ich für die Aufgabe ausgewählt worden, Euch zu töten. Nachdem es mir unmöglich geworden war, meine Mission auszuführen, fühlte ich in mir eine große Leere. Ich hatte meine Göttin im Stich gelassen, und das Leben hatte jede Bedeutung für mich verloren.«
Schweigend hörte der andere zu.
»Aber ich habe Eure Worte gehört, und sie haben mich mit einer Art Freude erfüllt. Sie haben mir einen neuen Pfad des Heils gezeigt, einen Pfad, von dem ich fühle, daß er jenem, dem ich früher gefolgt bin, überlegen ist.«
Der Buddha musterte das Gesicht des Sprechenden.
»Euer Pfad der Entsagung ist schwer, aber ich glaube, daß das gut ist. Es entspricht meinen Bedürfnissen. Deshalb bitte ich um die Erlaubnis, in die Gemeinschaft der Suchenden eintreten zu dürfen. Ich will Eurem Pfad folgen.«
»Seid Ihr sicher«, fragte der Erleuchtete, »daß Ihr Euch nicht lediglich selbst bestrafen wollt für das, was auf Eurem Gewissen als Versagen oder Sünde lastet?«
»Was das betrifft, bin ich mir sicher«, sagte Rild. »Ich habe Eure Worte in mich aufgenommen und habe die Wahrheit gespürt, die sie enthalten. Im Dienste der Göttin habe ich mehr Männer getötet als purpurne Blätter auf dem Zweig dort drüben wachsen. Dabei zähle ich nicht einmal Frauen und Kinder. Und so werde ich durch Worte nicht leicht bewegt, denn ich habe allzuviele gehört, in allen Wendungen und mit allen Stimmen bittende Worte, überredende Worte, Flüche, Flehen. Aber Eure Worte bewegen mich. Sie sind den Lehren der Brahmanen überlegen. Mit Freuden würde ich in Euren Diensten Henker sein und Eure Feinde mit einem safrangelben Tuch töten - oder mit einer Klinge oder mit einem Speer oder mit meinen bloßen Händen, denn ich bin in allen Waffen geübt, drei Lebensspannen lang geübt in ihrem Gebrauch - aber ich weiß, daß das nicht der Pfad ist, den Ihr lehrt. Tod und Leben sind für Euch eins, und Ihr trachtet nicht nach der Vernichtung Eurer Feinde. So bitte ich Euch, nehmt mich auf in Euren Orden. Für mich ist der Schritt nicht so schwer wie für manchen anderen. Nach der Ordensregel muß der Mönch auf Heim und Familie, Abstammung und Besitz verzichten. Ich besitze das alles nicht. Der Mönch muß auf seinen eigenen Willen verzichten. Auch das habe ich längst getan. Alles, was mir noch fehlt, ist die gelbe Robe.«
»Ihr sollt sie haben«, sagte Tathagata, »und meinen Segen dazu.«
Rild legte das Gewand eines buddhistischen Mönchs an und begann zu fasten und zu meditieren. Nach einer Woche - das Fest neigte sich seinem Ende zu - brach er in Begleitung der anderen Mönche mit seiner Bettlerschale in die Stadt auf. Aber er kehrte nicht mit den Mönchen zurück. Aus dem Tag wurde Abend, und aus dem Abend wurde Nacht. Die Tempelhörner hatten schon die letzten Töne des Nagaswaram getutet, und viele Besucher des Festes waren schon abgereist.
Lange streifte der Erleuchtete meditierend durch die Wälder. Dann verschwand auch er.
Aus dem Hain hinaus, das Sumpfland hinter sich lassend, durch die blaugrünen Felder auf die Stadt Alundil zu, über die sich lauernd die Felsenhügel beugten, und in die Stadt selbst hinein, in der ein großer Teil der letzten Besucherscharen mitten im lärmenden Gelage begriffen waren, die Straßen hinauf zum Tempelhügel - das war der Weg, den der Buddha ging.
Er betrat den ersten Hof, und es war still dort. Die Hunde, die Kinder, die Bettler waren fort. Die Priester schliefen. Dösend saß ein Aufseher im Basar hinter einem Verkaufstisch. Viele der Altäre waren nun leer, die Standbilder hatte man ins Tempelinnere getragen. Vor mehreren der verbliebenen Götterbilder knieten Gläubige im späten Gebet.
Er betrat den inneren Hofraum. Vor der Statue des Ganescha saß ein Asket auf einer Gebetsmatte. Auch er selbst schien eine Statue zu sein, so unbeweglich saß er da.
Vier Öllampen flackerten über dem Hof, doch ihr tanzendes Licht betonte lediglich den tiefen Schatten, der über den meisten Heiligtümern lag. Kleine Votivlichter warfen einen matten Schein auf einige
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